Warnung! Beitrag stammt aus der Rubrik „Hinterher ist man immer schlauer“.
Italien erzielt 2 Tore, Deutschland nur 1, damit ist die „Mission 2012″ beendet, schon zwei Schritte vor dem eigentlichen Ziel.
„Vercoacht“ lautet das einhellige Urteil von Presse und Blogs. Nur wenige Stimmen werfen ein, dass der Trainer nicht die haarsträubenden Fehler der Spieler auf dem Platz begangen habe. Dennoch trat die Mannschaft wieder so auf, wie Jogi Löw früher gerne gehandelt hatte: zaudernd und nicht mit letzter Konsequenz, den Glauben ans Gewinnenkönnen irgendwo zwischen den Testspielen gegen Holland und die Schweiz verloren habend.
Natürlich passiert Mats Hummels ein derartig gewichtiger Fehler eben nur alle paar Stunden mal. Wenn es dann ein EM-Halbfinale ist, wird von mangelnder „Siegermentalität“ gequatscht, dabei könnte man es auch schlicht als Unterlegenheit dem Gegner gegenüber interpretieren. Wie die zweite Halbzeit zeigte, war die deutsche Mannschaft jedoch nicht derart unterlegen, dass sie nicht mit ihren Stärken (aus der Qualifikation) dieses Spiel bei glücklicherem Verlauf auch eindeutig für sich hätte entscheiden können. Aber Siegermentalität die fehlt, sofern es so etwas überhaupt gibt, nicht den Spielern, sondern dem Bundestrainer.
Ein weitaus größeres Problem stellt jener Faktor dar, über den Jogi Löw sogar selbst noch mit seinem Stab scherzt bzw. wettet. Dass Deutschland kein Tor nach Standards erhalte oder aber selbst kein Tor nach Standards erzielen werde, lautete eine mit seinem Co Hans-Dieter Flick abeschlossene Wette. Ein Vorgang, der den Rezipienten dieses Umstands sprachlos zurücklässt angesichts der Bedeutung dieses Turniers und der sonstigen, extrem akribischen Vorbereitung man denke an die 45 Studenten der Kölner Sporthochschule. Sich auf den Gegner bis in die kleinsten Details vorzubereiten, selbst aber keinerlei Pläne für Standardsituationen zu schmieden, ist vor allem eines: Unprofessionell. Und das muss sich Jogi Löw vorwerfen lassen.
Gegen Italien erzielte man ein Eckenverhältnis von 14:0. 14 mal bot sich die Chance, mit einer einstudierten Variante wenigstens einen Torschuss abgeben zu können. Stattdessen: blind reingeschlagene Bälle, von denen einige sogar noch viel zu flach kamen und leichte Beute der italienischen Verteidiger wurden. Lezteres kann passieren, die gesamte Lage, keine Standards vorzubereiten, jedoch nicht. Dass man zwar eine Taktik austüftelt, bei den sich daraus ergebenden Vorteilen und genau das ist ein ruhender Ball wie bei einer Ecke nun mal aber wieder nach dem guten alten Prinzip des Zufalls zu verfahren, spottet all dem Geschreibsel vom so cleveren Erfolgstrainer.
Wer sich hier aber ebenfalls Vorwürfe gefallen lassen muss, sind die Spieler. Ihnen sei zwischen der Griechenlandpartie und dem Italienhalbfinale teilweise die Decke auf den Kopf gefallen, ist zu lesen. Statt aber in dieser Zeit, oder natürlich schon Wochen vorher, selbst die Initiative zu ergreifen, bleibt es bei den halbhohen Eckbällen von Toni Kroos, weil es dem Team, nein, nicht an Typen, aber an Eigeninitiative mangelt. Wie unglaublich verwegen, geradezu umstürzlerisch wäre es gewesen, sich selbst einige Varianten zusammenzustellen? Und wie wenig Zeit und Energie hätte man dafür benötigt?
So blieben sage und schreibe 14 Eckbälle ohne jeden Effekt, wie es wie (in anderen Beiträgen schon) gesagt seit Jahren Tradition in der Nationalmannschaft ist. Unter Löw, unter Klinsmann, unter Völler und auch, wie ein zufälliger Fund zeigt, unter Ribbeck.
Auch Standardsituationen seien lange Zeit nicht einstudiert worden.
Klingt bekannt, nicht wahr?
Das ist eine sehr alte Krankheit, die sich in der deutschen Nationalmannschaft wohl einfach nicht ausrotten lässt. Denn das Zitat stammt aus dem Jahr 2000, von der katastrophalen EM. Immerhin aber, und das war damals anders als im Jahr 2012, sind dann wenigstens die Spieler selbst aktiv geworden.
Erst auf Aufforderung von Ziege in Richtung DFB-Trainer Horst Hrubesch sei dies beim Trainingslager trainiert worden. „Dann haben wir vor dem Spiel gegen Mallorca erstmals Ecken geübt.“
Auch wenn es damals dann an sinnvollem Vorgehen mangelt (man fasst es manchmal wirklich nicht, wie lange 2000 schon her ist, in diesem Aspekt), immerhin kam überhaupt eine Initiative der Spieler.
„Aber ein Eckentraining macht keinen Sinn, wenn einer den Ball auf fünf Angreifer reinschlägt – und es sind keine Verteidiger dabei, nur der Torwart.“ Ziege vermisste ein Konzept des Teamchefs.
In allen anderen Bereichen besitzt man nun also ein Konzept, in jenem Bereich, in dem ca. ein Drittel aller Tore im Fußball fallen, jedoch nicht. Wer ein Drittel der geforderten Leistung nicht bringt, benötigt in den zwei anderen Dritteln des Tests schon die volle Punktzahl, um nicht durchzufallen. Und da hat Jogi Löw das Glück verlassen, denn die Aufstellung und die Personalien waren nun mal nicht geeignet, jene Spielweise wie gegen die Niederlande oder aus der Qualifikation wieder aufs Feld zu bringen. Die Frage nach den Gründen dafür kann allein Jogi Löw beantworten. Er ist jedenfalls knapp durchgefallen durch die Prüfung „Titelgewinn“. Dennoch darf Jogi die Prüfung in zwei Jahren noch einmal wiederholen. Beim dritten Durchfallen allerdings …
Weiterer Blödfug rund um die Nachbetrachtung des Spiels findet sich in der Aussage, dass die deutsche Mannschaft „noch Stunden hätte spielen können, und kein Tor erzielt hätte“. Erstens hat sie ja nun mal noch ein Tor erzielt, zweitens ist per se immer das Gegenteil der Fall: Je länger man spielt, desto wahrscheinlicher wird ein Tor. Und drittens gaben die Italiener doch selbst zu, dass sie eine Verlängerung physisch nicht mehr überstanden hätten.
Man kann sich das immer nur schwer vorstellen: Dass Fußballer so trainiert sind oder werden, dass sie es gerade schaffen, 90 Minuten lang ihren Sport auf höchstem Niveau abzuliefern. Werden es 10, 20, 30 Minuten mehr, sehen einige schon Sternchen. Was auch deshalb kaum nachvollziehbar zu sein scheint, weil doch für 100 oder 105 Minuten trainiert zu sein auch einen Wettbewerbsvorteil im Haifischbecken bedeutete, in welchem alle Profifußballer der Welt nun mal sitzen, und in welchem sie sich um die begehrtesten und lukrativsten Anstellungen streiten.
Offensichtlich war es aber so, dass jene in weiß noch laufen konnten und jene in blau platt waren. Die Fitness der deutschen Spieler (wohl mit Ausnahme Schweinsteigers) war also in Ordnung und auch viel besser als jene der Italiener. Angesichts der ausgesprochenen Jugend des deutschen Kaders wohl keine Überraschung, überraschend aber, dass man diesen Faktor nicht noch besser ausspielte. Klar, wer 2:0 führt, muss sich nicht aus seinem Strafraum wagen, und dennoch gelang es, die italienischen Spieler stark zu ermüden. Als der Anschlusstreffer zum 1:2 gefallen war, fehlten nur noch wenige Sekunden, vielleicht 100, 200, vielleicht 500, bis der Ausgleich folgen würde so wirkte es jedenfalls.
Angesichts der nicht mal mangelhaften, sondern schlicht nicht existenten Vorbereitung auf Standards war es bezeichnend, dass die letzte Gelegenheit, noch einmal den Ball in den Strafraum zu bringen damit vergeudet wurde, einen erhaltenen Freistoß kurz auszuführen, während Torwart Neuer gerade vors italienische Tor eilte, statt ihn hoch und schnell hereinzubringen. Der Schiedsrichter pfiff ab, und statt eines viel umjubelten Ausgleichs erfüllten Thomas Müllers Tränen und die drückende Stille der Enttäuschung in der Kabine die Gemüter der Fußballrepublik.
Durchgefallen, schon wieder.
Auch wenn es diesmal wenigstens keine Fußballgötter waren, sondern benennbare Fehler, und man Fehler beheben kann: Genau diese Gelegenheit kommt nie wieder, sie wurde vertrainert.
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