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Grenzenlose Dummheit

Natürlich geht Dummheit über alle Ländergrenzen und vor allem vor großen Turnieren kommt sie am liebsten in den Ausrichterländern zum Vorschein. 1998 in Frankreich war es Le Pen mit seinen Äußerungen zum französischen Team, in dem angeblich keine Franzosen spielten. 2006 war es in Deutschland die NPD mit Bezug auf Patrick Owomoyelas aus ihrer Sicht mangelndes Deutschsein, und in Italien braucht man nicht mal ein großes Turnier, um Mario Balotelli wegen seiner afrikanischen Abstammung anzufeinden: Stimmen, die die Ansicht verbreiten, dass bestimmte Menschen keine richtigen Bürger eines Landes seien, weil sie nur eingebürgert sind, gibt es offensichtlich überall. Und wo steht gerade ein großes Turnier an?

In Polen hat sich der Torwart der WM-Elf von 1974, Jan Tomaszewski, anlässlich des Tests zwischen Polen und Portugal in einem TV-Interview geäußert, dass er kein Spiel der polnischen Nationalmannschaft mehr ansehen werde, so lange so viele Verbrecher, Deutsche und Franzosen darin mitspielten.

Verbrecher sind seiner Ansicht nach Spielmanipulierer vom Schlage eines Lukas Piszczek, Franzosen solche eingebürgerten Spieler wie Damien Perquis und Deutsche und somit keine Polen sind natürlich namentlich Eugen Polanski und Sebastian Boenisch.

Zufällig, man hätte es kaum vermutet, ist Tomaszewski Abgeordneter der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“. Eine schöne Tradition im Weltfußball, dass auch die Idioten ihn stets als Bühne für ihre nationalistischen Zwecke missbrauchen. Der beste Zeitpunkt, diese zu brechen, wäre vor ihrer Entstehung gewesen, der nächstbeste Zeitpunkt ist immer jetzt.

13 Kommentare

  1. sternburg sternburg

    Wobei auch in Faschistengrütze ein Körnchen Wahrheit stecken kann. Die Sache mit Piszcek finde ich auch sehr seltsam.

  2. Die meiner Meinung nach verständliche Abneigung gegen Spielmanipulierer würde ich aber gerne von diesem kruden Nationalismus trennen wollen.

  3. Manuela [Werbung entfernt] Manuela [Werbung entfernt]

    Mein Mann hat mir von seinem letzten Stadionbesuch erzählt, und scheinbar wird das Ganze wirklich immer ärger.

    Ich bin eine Frau und habe mit Fussball nicht sehr viel am Hut, aber dieser Artikel ist mir aufgefallen und ich bin froh dass es noch normale Fussball-Fans gibt!
    Gruß Manu

  4. Johannes Johannes

    Eine Frage an den Hausherrn in anderem Zusammenhang: Mein Kommentar zum Beitrag „Auf dem Vulkan tanzende Biere“ wartet seit einer Woche auf Freischaltung. Gibt es da einen besonderen Grund?

  5. Ja, der Grund war, dass ich kurzzeitig auf Reisen war und es nach der Rückkehr bedauerlicherweise übersehen habe. Ich bitte um Nachsicht. Ist jetzt freigeschaltet, vielen Dank für die Teilnahme.

    Dass er überhaupt in der Moderation landete, liegt an den mehrfachen Satzzeichen.

  6. Johannes Johannes

    Alles klar. Dann also künftig mit weniger Satzzeichen

  7. Ich finde es schwierig hier ueber Tomaszewski derart zu richten. Ich moechte daher nur einige Punkte zu Bedenken geben: Den Polen ist ihre eigene Nationalmannschaft herzlich egal, die Euphorie der Siebziger, getragen von genereller politischer Gesundung im Land, ihr gegenueber ist spaetestens seit Solidarnosc abhanden gekommen. Das Urteil steht fest. Und der Reflex dieses irgendwie erklaeren zu mussen ist menschlich.

    Zudem sollte man sich befreien, mit dem deutschen Verstaendnis von Nationalkonservativismus ueber andere Laender zu urteilen. Was hier eher rassistisch, antisemitisch und ggf. antidemoktratisch ist, ist woanders ein Extrem einer extrem breiten politischen Mitte. Gerade in den postsowjetischen Staaten, wo nach 1989 die Opposition sich, in Abgrenzung zu den ueberlebenden kommunistischen Parteien, eben weiter rechts platzierte. Und gerade da, wo Katholizismus den politischen Diskurs und die Oeffentlichkeit so stark praegt wie in Polen. Aussagen wie die Tomaszewskis (die zudem in einem fremdsprachig gefuehrten, redigierten, bearbeiteten, uebersetzten Interview in sonstwelchen Zusammenhaengen getaetigt worden sein koennen) moegen befremdlich klingen, sind es aber aus anderer Perspektive eben nicht, sondern politischer Mainstream – und daher auch nicht mit aussetzigen Rassismus im „alten Europa“ zu vergleichen.

    Zudem gilt die EM in Polen als Projekt der PO, dem politischen Gegner von Tomaszewskis PiS. Dass diese die EM und alles was damit zusammenhaengt schlecht redet ist logisch und polemischer Populismus. Aber natuerlich finde auch ich die Aussagen abstossend. Es waere mir lieber es gaebe solches Denken ueberhaupt nicht – egal was das mit dem Konzept der nationalen Fussballmannschaften an sich macht.

  8. Natürlich gibt es in anderen Ländern als Deutschland angesichts seiner Geschichte andere Maßstäbe als die hiesigen, was als rechts, rechtsextrem oder noch als Teil des Mainstreams empfunden werden muss.

    Das ändert doch aber nichts daran, dass die Zusammenstellung einer solchen Nationalmannschaft überhaupt nichts abbildet außer der Zusammenstellung einer Nationalmannschaft. Die FIFA legt fest, wie oft man seinen Verband wechseln darf, und das war’s. Die Diskussion, was überhaupt eine Nation sein soll, wollen wir hier glaube ich zurecht nicht führen, denn dann kann man gleich den kompletten Länderfußball abschaffen. Müsste man sogar auch.

    Aber der oben erwähnte Rassismus bleibt gleich intolerabel, egal wie gut man ihn begründen kann, und natürlich darf man mir für diesen Beitrag auch vorwerfen, einen mitteleuropäischen Machismus an den Tag zu legen, der dessen Werte für allgemeingültig hält und anderen Nationen Schrägstrich Kulturen erzählen will, wie sie sich selbst zu definieren haben. Und: Ja, genau das tu ich auch – in diesem Punkt –, weil es für mich keinen Sinn ergibt, Leute wegen der Farbe des Passes ihrer Eltern oder wegen ihres Geburtsortes zu diskriminieren.

    Auf dem Rücken dieses Umstands dann kleine Parteipolitik zu betreiben ist nichts weiter als billige Polemik, mit der man keinen Fortschritt erlangt. Und natürlich ist die Welt nicht so einfach, dass von Mitteleuropa das Wohl der Menschheit ausginge, eher nicht, längerfristig gesehen.

    Danke natürlich für Deine ausführliche Darlegung. Ich meine mich zu erinnern, dass Du in Polen gelebt hast und deshalb mehr Kenntnisse besitzt als ich.

    Es zu verstehen ist aber die eine Sache, es zu tolerieren eine andere. Dennoch hilft Dein Kommentar beim Verstehen. Also noch mal Danke sehr.

  9. Genau, mir ging es auch nur um das Verständnis. In einem späteren Zeitpunkt des Interviews legt Tomaszewski übrigens fest, dass Podolski und Klose absolut rechtmäßig in der deutschen Nationalmannschaft spielen. Und schon wackelt sein ideologisches Gerüst.

    In der Sache stimme ich mit Dir absolut überein – um das nochmal deutlich zu machen und um nicht missverstanden zu werden: Tolerabel ist das nicht.

  10. sternburg sternburg

    Nur zur Klarstellung: „Rassistische, antisemitische und ggf. antidemoktratische“ Äußerungen sind weniger verwerflich, wenn Sie an dem Ort des Äußernden „politischer Mainstream“ sind? Habe ich das richtig verstanden?

  11. Von Verwerflichkeit habe ich nichts gesagt. Habe sogar die Äußerungen ebenso für intolerabel erklärt. Habe nur festgehalten, dass in anderen Ländern andere politische Vorstellungen herrschen, und dass man nicht von seinen Vorstellungen ausgehend andere immer richtig beurteilen kann. Und dass, schwingt auch mit, die eigenen Vorstellungen nicht der Weisheit letzter Schluss sind. Nicht mehr. Also: nicht richtig verstanden.

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