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Schlagwort: Defensive

Sverige — Tyskland 3:5 – Die Evolution frisst ihre Kinder

I have a dream. Und der geht so: An einem vielleicht regnerischen Tag im Februar 2014 wird Jogi Löw einen Termin in London haben. Er wird seinem Gesprächspartner mitteilen, dass er weiterhin voll auf ihn setzt. Dieser aber leider nicht mitfährt zur WM, zumindest nicht im 23er-Kader, aber für den Fall der Fälle solle er sich bereithalten. Später werden beide Beteiligten der Presse das genaue Gegenteil darüber erzählen, was denn nun Inhalt des Gesprächs gewesen sei. Der so Besprochene wird aber nicht im Flieger nach Brasilien sitzen, was der entscheidende Punkt dieses Traums ist.

Tja, schade, dass das nur ein Traum bleiben wird, aber was man angesichts der mit ordentlich Teufelspepperoni gefüllten Ladungen an Offensivpower mit durchdachten, kreativen und handlungsschnellen Szenen gestern in der Partie gegen Schweden noch mit Lukas Podolski bei einer WM möchte, wo die Besten der Besten eines Landes zusammengerufen werden, wird auf immer Jogi Löws Geheimnis bleiben. Die Defensivstärke im Vergleich zu den ihn nun überflügelt habenden Spielern kann es bei Podolski kaum sein, denn die müsste man immer noch mit der Lupe suchen.

Ansonsten bot die Partie genau das, was man von ihr erwartete. Einen immer wieder zum Patzer und dann zur patzigen Reaktion neigenden Manuel Neuer, der immerhin dann doch mal nach knapp 160 Minuten gegen Schweden einen dieser Bälle zu fassen bekam, die man ihm ständig aufs und dann ins Tor hämmerte. Eine Defensive, die löchrig genug ist, auch gegen Fußballgroßmächte wie Paraguay, die USA oder die Schweiz 3 Tore und mehr zu kassieren, zeigte wieder einmal ihre lachende Fratze. Lachend für Produzenten von Tornetzen, denn die spielten gleich 8x die ihnen zugedachte Rolle.

8x, das bedeutet auch, dass der Ball 5x in des Gegners Tor landete und es war der große Jannik Sorgatz, der letztens darauf hinwies, dass die DFB-Auswahl damit 9 Partien in Folge mindestens 3 Tore erzielt hat. Oliver Fritsch argumentierte in der Zeit, dass zu viele Tore dem Fußball nicht gut täten und auch Bastian Schweinsteiger äußerte sich nach seinem Jubiläumsspiel, dass ihm ein 2:0 deutlich lieber als ein 5:3 sei, denn dieses sei ein „schlechtes Ergebnis“. Erinnerungen wurden wach an das 4:2 gegen Griechenland im Viertelfinale der EM, als sich kaum jemand an den 2 Gegentoren der Griechen störte, welche doch für gewöhnlich nur 1 Tor pro Partie erzielen und diesen Wert mal eben gegen Deutschland verdoppeln konnten. Denn vorne rappelte es ständig im, Entschuldigung, in den Tornetzen und dann lässt man auch schon mal fünfe gerade sein.

Wie erwartet also die Rückkehr zu einer schwachen Defensivleistung, die auch nicht damit zurecht gerückt werden kann, dass die Schweden in der ersten Halbzeit nur 2x aufs Tor schießen. Was ja fast so klingen sollte, als seien das 2 Sonntagsschüsse gewesen, die so nicht in anderen Partien wieder passieren könnten. Erstens waren diese Tore glänzend herausgespielt und dann doch wieder so einfach, wie es eben ist, die deutsche Abwehr auszuspielen. Und zweitens zeigt die Vergangenheit ja, dass es eben nicht ein mal im Jahr vorkommende Sonntagsschüsse sind, die zu deutschen Gegentoren führen, sondern dass es wieder und wieder möglich ist selbst für die Nr. 50 der Weltrangliste, zwei, drei Tore zu erzielen. Wie erwartet, eben, und das sogar ohne Ibrahimovic.

Was man nicht erwarten kann, ist dass man beim Zuschauen auf einmal ein Gottesteilchen entdeckt. Aufgeblitzt war es in jener Szene, die zum 4:2 durch André Schürrle führte, als schon der durch eine blitzschnelle Drehung gewonnene Zweikampf auf der linken Außenbahn in Höhe der Mittellinie deutlich schrie, dass nun etwas sehr Besonderes passieren würde. Während man einigermaßen eingelullt von den vielen Toren vor dem Fernseher sitzt, plötzlich dieser Moment, an dem der Fernseher zu einem Medium des Lebens wird, sich die Schönheit des Spiels eröffnete und beinahe, für einen Moment jedenfalls, die Seele rein machte und eine Ahnung vom Gefühl der Erfüllung bescherte.

Zum Glück wird man von den Menschen beim ZDF, die dieses Spiel begleiten, immer sofort in die Realität zurückgeholt. Da spricht ein vermeintlicher Experte zum ersten Mal in seinem Leben selbstironisch davon, dass es ja auch viel „Druck“ gegeben habe, Applaus, Applaus, es gibt noch Hoffnung, da macht er diese Hoffnung im selben Moment zunichte, als er sich jeglicher Diskussion der anderen gesehenen Partien entzieht und stattdessen ständig über seine Erinnerungen von anno dazumal schwadroniert, deren Kontext zur Gegenwart man selbst mit jener Lupe, die Podolskis Defensivstärken sichtbar macht, nicht findet. In Moldawien habe er mal gespielt, das Publikum war gegen ihn, der Platz ein Unding, ja, Opa, jetzt iss auf und stell Dich neben den Franz. Was es über die anderen Mannschaften bei der WM alles zu sagen gegeben hätte — wer weiß das schon? Ein Zuschauer des ZDF jedenfalls nicht.

So frisst die Evolution ihre Kinder, Bastian Schweinsteiger wirkt schon wie ein alter Mann vor seinem letzten Turnier, dabei hat er die 30 Lenze noch gar nicht erreicht, und Oliver Kahn wirkt wie ein Fußballkommentator aus den 1990ern, als genau solche Dönekes schon ausreichten, um den Vertrag verlängert zu bekommen. So wie Podolski nicht mehr in diese Zeit passt, zu wenig handlungsschnell, zu wenig variabel, so passt auch Oliver Kahn nicht mehr in diese Zeit. Für Geschichten von damals gibt es hinten in der 11Freunde eine Rubrik, ein Interview alle paar Jahre mal sollte für Kahn dann ausreichen. Ansonsten gilt für ihn genauso wie für die Generation Podolski: Platz machen, die Evolution hat sie überholt. Zum Glück.

Und dann waren da noch die herrlichen Einlaufkinder, die dem ganzen Popanz, den der Fußball und die Menschen sich ausgedacht haben, eine schöne lange Nase zeigten. Nationalhymnen, bei denen man andächtig stehen muss, deren Text man mitsingen muss und Spot und TV-Kamera auf die modernen Gladiatoren gerichtet, die zu Helden überhöht werden — alles wunderbar karikiert von zappelnden, in der Nase bohrenden, sich ständig umdrehenden oder ihr Bäuchlein tätschelnden Einlaufkindern. Sollte man öfter machen, diese besonderen Kinder in den Vordergrund zu holen — ohne sie dabei dem Voyeurismus auszuliefern, falls das möglich ist.

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Was bisher geschah (III): Fortuna — FC Bayern 0:5

Oder auch: „Scheiß dode Houßn!“

Einfach nur Fussball — reicht gegen Bayern nicht

Gunnar vom Stehblog, welcher übrigens einst Kandidat beim DSF-Superfan-Quiz war, lud zu dieser Partie ein. Mit 20 Euro ein äußerst bezahlbarer Sitzplatz im Gästebereich, ziemlich weit oben und so mit gutem Blick auf das Spiel das Abschlachten der Fortuna.

Die Anfahrt problemlos per PKW und Parken auf P2 im Gästebereich absolviert, trafen wir noch vor dem Stadion auf LizasWelt und den Baziblogger (nach Spielende auch noch auf Breitnigge samt dessen erstmalig aus Anlass dieser Partie bloggender Gemahlin), testeten die Bratwurst (okay) samt Brötchen (mega-matschig-weich, nicht mehr benotbar) und begaben uns schließlich auf unsere Plätze. Wie wenig vorhersehbar Fußball ist, sieht man an den Tipps der allesamt den Bayern zugeneigten Vorgenannten, welche da meist über ein 1:1 nicht hinausgingen, schließlich sei Fortuna sehr defensivstark. Dachte man.

Auf den Plätzen angekommen, war klar: Es wird wieder kein Netz geben, bei 54.000 Handies im ausverkauften Stadion ist das wohl immer noch ein Problem. Dafür sorgte ein Bayernfan hinter uns, dem Idiom nach unverkennbar Franke, für größere Unterhaltung. Solch ein rollendes R samt t-d-Schwäche bekommt sonst niemand hin, der nicht in Franken aufgewachsen ist. „Scheiß dode Houßn!“ gröhlte er auch sofort als die Mitglieder der Band „Tote Hosen“ vor dem Spiel geehrt wurden. Nun ist sich über Dialekte lustig zu machen immer ein wenig schal, schließlich sprechen nur die Menschen um Hannover herum keine solchen und des eigenen ist man sich ja meist nicht bewusst.

Mit welcher Verve er bei jeder Gelegenheit aber auch noch ein „Scheiß 1. FC Nermberch“ anfügte, lässt erahnen, dass es da Momente in seiner Jugend gegeben hat, die eine Abnabelung von seiner eigentlichen Heimat sehr schmerzhaft werden ließen.

Doch ist ein depperter Fan, der von homophoben Sprüchen bis zu ständigen Beschwerden darüber, dass Fortuna ja „gar nicht mitspielt“, keine Peinlichkeit ausließ, wirklich bemerkenswert? Wenn es von der Partie selbst nicht viel zu berichten gibt, vielleicht schon.

Allerdings war da ja auch noch ein Publikum anwesend, und das lieferte eine Stimmung par excellence. Hier der Eindruck von kurz vorm Einlaufen der Spieler, als die gesamte Fortuna-Kurve und die Gegengerade ihre Fähnchen wedelten und inbrünstig sangen. Warum ist es am Rhein so schön? Offensichtlich zu nicht geringen Teilen, weil die Menschen hier mit guter Laune und Sangesfreude ausgestattet sind.

Besäßen Länderspiele doch nur ein Zehntel dieser Atmosphäre vom Samstag in Düsseldorf, man könnte sich alle debilen Animationen sparen und wäre immer noch in guter Fußballlaune inmitten einer solchen fußballhungrigen Masse.

Hier noch mal in groß, was das Banner sagte:

„Wirkt auch noch nach 12.369 Tagen“

Flugs im Kopf überschlagen, dass man auf etwas über 30 Jahre kommt, welche diese 12.369 Tage bedeuten, landet man natürlich bei diesem Ergebnis hier, dem legendären 7:1, von dem man wohl auch in weiteren 12.369 Tagen in Düsseldorf noch sprechen wird. Dazu gab’s dann noch ein über die Zuschauer gerolltes Banner mit allen Torschützen und einem geknickt dreinschauenden Sepp Maier von damals. Beschwörung älterer Geister, wie man jetzt weiß: erfolglos.

Während dem FC Bayern ein 5:0 über einen Aufsteiger kaum der Rede wert ist. Zumal dann, wenn sich dieser über 90 Minuten keine echte Torchance erspielt. Eher hätte es 0:7, 0:8 oder gar 0:10 ausgehen können, was auch der kicker so sah, der ein Chancenverhältnis von 0:14 (!) zählte. Fraglich, ob man diesen Sachverhalt in einer Zusammenfassung überhaupt richtig herausarbeiten kann. Die gesamten 90 Minuten jedenfalls sahen genau so aus, wie ein Chancenverhältnis von 0:14 klingt.

Bemerkenswert allerdings dieses Bild:

Wie Sie sehen, sehen Sie nichts.

Nämlich keinen Unterschied zum Bild oben vor Anstoß, dabei ist das untere Bild nach Abpfiff dieser so ungleichen Begegnung entstanden. (Fast) Niemand hatte das Stadion verlassen und die Fortuna-Kurve feierte ihr Team weiterhin so, mit allen Fahnen und lauten Gesängen, als hätte dieses nicht grade eine demütig werden lassende Klatsche erhalten.

In den meisten Revierstädten hätte man schon längst Teer und Federn bei der Hand gehabt, sofern man nicht fluchtartig aus dem Stadion gerannt wäre; in Düsseldorf feiert man nach dem Abpfiff und auch schon beim 0:2-Pausenstand sein Team mit solcher Leidenschaft, als gehöre man per se in die Bundesliga oder aber sei sich bewusst, dass diese Partie einmalig bleiben könnte, bei unglücklichem weiterem sportlichen Verlauf.

Vielleicht übertreibt der Autor hier aufgrund nicht zu verhehlender Sympathien für solch ein Auftreten, aber das ist der Sportsgeist, den man im Fußball braucht. Und damit ist nicht gemeint, immer zu feiern, egal, wie die Partie ausgeht, denn dann bräuchte man gar nicht erst zum Fußball zu gehen. Sondern die Unterstützung auch dann nicht weniger werden zu lassen, wenn es eigentlich aussichtslos ist. Gegen Schalke hat das letztens gut funktioniert, hier dann wie bereits erwähnt weniger. Eine beneidenswerte Attitüde, mit der man in Düsseldorf ins Stadion geht.

Was natürlich nichts daran ändert, dass später am Abend in der Altstadt ganze Straßen durch menschliche, gut behelmte Sperren abgeriegelt wurden, weil sich Bayern- und Fortuna-Fans gegenseitig mit fliegenden Altbiergläsern begrüßten und die eine oder andere Blutlache auf dem Boden der Bolkerstraße entstand. Da es aber zu keinen größeren Ausschreitungen kam, darf das wohl als ein in der Altstadt normales Phänomen bewertet werden.

Andere Städte verfügen nun mal über kein Oktoberfest e Altstadt, so dass sich derartige Szenen auch nicht ereignen können. Zehn Prozent Idioten gibt’s noch dazu überall, in jedem Land, bei jedem Club. Solch einen Support wie bei Fortuna gibt’s allerdings zur Zeit nirgendwo sonst im Land*.

(* Das ist eventuell eine Hyperbel.)

Falls hier jegliche Anmerkung zum Geschehen auf dem Platz fehlt: Da geschah nichts. Nichts in Richtung Bayerntor, es gab nur Einbahnstraßenfußball zu sehen und wer vielleicht zur Pause auf ein Wunder à la Schweden gehofft hatte, sah sich enttäuscht. Meist schafften die Fortunen es nicht mal, bis zur Mittellinie in Ballbesitz zu bleiben. David wäre empört, in einer Metapher mit Goliath für diese Fortuna stehen zu sollen. Hinten war dann von der im bisherigen Saisonverlauf erlebten Defensivstärke auch nichts über, und dann kommt eine Partie dabei heraus, bei der einem Angst und Bange um den weiteren Saisonverlauf wird. Schließlich ist mit 8 von 34 Spielen ein Viertel der Saison absolviert und die Bayern stehen bei maximaler Punkteausbeute und 26:2 Toren.

Fortuna gewinnt an jenem Abend nur Sympathien und verbreitet gute Laune, sportlich muss es eben wieder gegen andere Gegner klappen. Gegner allerdings, und nicht übermächtige Sagengestalten, die immer ein bis zwei Mann mehr auf dem Platz zu haben scheinen, wie jene Bayern um vor allem Franck Ribery vom vergangenen Samstag. Dann ist mit eigenen Torchancen nämlich in erster Linie „dode Houße“.

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