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Vermaledeiter Recency-Effekt

Der kicker fragte letzens in einer Umfrage nach dem größten Trainer aller 50 Jahre Bundesliga. Das Resultat lautete: Jupp Heynckes. Vor Udo Lattek! Vor Ottmar Hitzfeld! Bei der Weltfußballerwahl fragte man nach dem besten Spieler des abgelaufenen Jahres — gewählt wurde einer, der im letzten wichtigen Spiel der Saison drei Tore erzielte.

Lässt man im Jahr 2001 eine Jahrhundertelf des vorhergegangenen Jahrhunderts eines Vereins wählen, besteht der Kader zu mindestens zwei Dritteln aus Spielern aus den letzten beiden Jahrzehnten (was allerdings auch biologische Gründe hat — oder heißt das Flotteneffekt?). Lässt man ein „sehenswertestes“ Spiel wählen, antwortet ein Großteil mit einem Spiel, das gerade mal ein paar Monate her ist, während alle Spiele seit Beginn der TV-Aufzeichnungen dafür offen gestanden hätten.

Es ist ja auch nicht weiter tragisch, bei derlei Wahlen und Abstimmungen existiert ja ohnehin keine objektive Wahrheit. Ich möchte dennoch hier eine Lanze brechen für all jene, welche vor der gerade abgelaufenen Zeit etwas Herausragendes geleistet haben, aber leider den Strukturen des menschlichen Gedächtnis zum Opfer fallen und bei diesen Wahlen nie etwas werden gewinnen können, was wenigstens annähernd Ähnlichkeit mit einem Blumentopf hätte.

Also: Den Recency-Effekt einfach radikal akzeptieren, solche Wahlen sind ja ohnehin nichts anderes als Unterhaltung.

Eine einigermaßen objektive Wahl einer „Jahrhundertelf“ diverser Vereine oder Tore eines Zeitraums würde mich dennoch sehr interessieren. Leider wird das in diesem Leben und vor allem als Mitglied dieser Spezies mit dem nun mal vorhandenen Gehirn nie möglich sein. (Könnten Schildkröten Fußball spielen und auch noch solche Wahlen abhalten, sähe das anders aus.) Man sollte ja schon froh sein, dass man überhaupt so eine relativ ausgereifte Version von der Evolution zur Verfügung gestellt bekommen hat, mittels derer man immerhin auf den Mond und — nicht ganz unwichtig — auch wieder zurückfliegen kann. Na dann eben: weiterwählen.

Immer den, der zuletzt etwas erreicht hat.

7 Kommentare

  1. Sehr schöner Beitrag, wie ich finde! Wann gab es denn hier den, wie es doch so schön neudeutsch heißt, Relaunch der Seite mit neuem Design? Während des WM-Tippspiels kann ich mich noch an das alte Design erinnern, oder irrt mein Gedächtnis auch schon? ;) Oder sollte ich einfach mal öfter aus meinem Feed-Reader abspringen? :)

    Gefällt mir auf jeden Fall! Wirkt aufgeräumter, schlanker und fühlt sich schneller an, so beim Seitenaufruf etc.

  2. Gundula Gause Gundula Gause

    Sieht gut aus, die neue Optik!

    Und ja, das ist wohl so: Die Dinge, die man selbst erlebt hat, liegen einem doch näher als ferne Legenden. Das „Jahrhundertspiel“ WM 1970 hab ich z.B. überhaupt nicht auf der Pfanne (klar, mal eine Wiederholung gesehen, fand ich aber eher langweilig, was wohl an dem betulichen Spielstil damals lag), aber bei der Erinnerung an das Halfinale EM 1996 krieg ich heute noch eine Gänsehaut.

  3. Ich möchte da jetzt nicht widersprechen, aber es geht beim Recency-Effekt nicht darum, was man selbst miterlebt hat und was nicht, sondern darum, dass die zuletzt eingehenden Informationen immer besonders nah im Gedächtnis liegen und deshalb schneller wieder abgerufen werden und als (vermeintlich) wichtig prozessiert werden.

    Was Du meinst, ist ein anderer Effekt, den es auch gibt, aber der beschäftigt sich damit, wie intensiv die Emotionen bei einem Erlebnis sind, egal, ob negativ oder positiv, aber das ist nicht der Recency-Effekt.

    Danke für die netten Worte zum Layout, Ihr beiden, schön, wenn es gefällt. Carlito, das neue ist erst seit drei, vier Tagen online. Wichtig war, dass es auch endlich mobilfähig wird. Wenn es aber auch am Desktop gefällt, freut mich das umso mehr.

  4. Habe mir jetzt auch nochmal das mobile Layout angeschaut. Gefällt sehr, lässt sich jetzt auch super mobil lesen/nutzen, da echt schlank und sehr fix.

    Habe sonst eher den feed reader genutzt, aber jetzt steht einem Absprung auf deine Seite, auch unterwegs, nix mehr im Wege. :)

  5. McP McP

    Ich habe das Gefühl, bei Jahrhundertwahlen werden erstmal alle Legenden gesetzt, egal ob man sie gesehen hat oder nicht. Pele, Maradona, Cruijff, Beckenbauer oder bei Vereinen die entsprechenden Namen. Der Rest wird dann aufgefüllt.

    Der Effekt ist mMn weniger, dass die einen Informationen näher liegen als die anderen. Vielmehr sind die einen Informationen – welche man durch eigenes Erleben gewonnen hat – vorhanden und andere eben nicht. Die jüngsten Informationen sind die größte Schnittmenge des Erlebten all jener die eine Wahlstimme abgeben und gehen daher mit einem hohen Gewicht in die Wertung. Umso mehr wenn bei den Wahlen ein eher jüngeres Publikum mitmacht.

  6. Ich hab‘ vor nicht allzu langer Zeit behauptet, Raúl/Huntelaar sei schon jetzt des beste Schalker Sturmduo des Jahrhunderts. Als ich dann empört an Sand/Mpenza erinnert wurde, fühlte ich mich zwar ein bisschen ertappt, blieb aber bei meiner Meinung. Jetzt weiß ich auch, warum.

  7. Felix aus Frankfurt Felix aus Frankfurt

    In diesem Zusammenhang passt auch ganz gut der beliebte Reporterausdruck „aller Zeiten“.

    „Schnellstes Tor“, „Bester Sturm“, „Meisten Punkte in einer Saison“ usw.

    Dabei weiß doch niemand, ob’s nicht nächstes Wochenende einen gibt, der 7 Sekunden nach Anpfiff ein Tor erzielt.

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