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Schlagwort: Florian Holsboer

Zuckerpillen und Lottogewinner

Hier wurde es schon erwähnt, Sport ist ein gutes Mittel gegen leichte Depressionen. Auch der öffentlichkeitsträchtige Psychiater Florian Holsboer bestätigt das im Interview mit dem Spiegel, in welchem er sich wie folgt äußert:

Bei leichten Depressionen hilft alles, auch Zuckerpillen oder Gruppentherapie.

Dass der Fall Sebastian Deisler aber eben nicht unter „leichte Depressionen“ abzuhaken war, ist uns demgemäß schon länger klar, denn an selbst ausgeübtem Sport hat es im Leben von Sebastian Deisler sicher nicht gemangelt. Es wurde viel spekuliert, woran es bei Sebastian Deisler gelegen haben mag, dass er mehrmals unter dieser Krankheit litt, und natürlich hat man dann gerne den Druck zititiert, unter dem Profisportler schon immer und ganz besonders seit Oliver Kahn leiden. Die Idee, dass zwischen beidem möglicherweise gar kein Zusammenhang bestand, ist allerdings für die meisten nicht so appetitlich, weil das bedeuten könnte, dass Depressionen relativ unabhängig von äußeren Einflüssen entstehen und vielmehr nur an einer beeinträchtigten Funktionsweise bestimmter Mechanismen liegen, so wie man eben regelmäßig oben in Bolivien verliert, weil man weniger Sauerstoff zur Verfügung hat.

SPIEGEL: Sie sehen Depressionen als etwas, das gewissermaßen vom Himmel fällt?

Holsboer: Manchmal schon. Wir haben hier vor einiger Zeit Sebastian Deisler behandelt. Der junge Mann war ein gefeierter Fußballstar, hatte Geld, eine brasilianische Freundin – wieso bekommt so einer eine Depression?

SPIEGEL: Man könnte sich manches vorstellen: Versagensangst zum Beispiel.

Vertieft wird die Diskussion in diesem speziellen Fall leider nicht, obwohl sie es gerade aus unserer Sicht absolut wert wäre, die wir nicht über Millionen verfügen, aber täglich Menschen, bei denen das der Fall ist, dabei zuschauen, wie sie Leistungssport betreiben und uns dann und wann mal über fehlende Motivation wundern, obwohl dort nun mal kaum eine Verknüpfung besteht. Und im Falle Deisler darf man gerne das Bonmot Marcel Reich-Ranickis zitieren:

„Geld allein macht nicht glücklich, aber es ist besser, in einem Taxi zu weinen als in der Straßenbahn.“

Dass Geld nicht glücklich macht, wüsste wohl auch noch der unbelesenste unter den Menschen, keine besondere Erkenntnis, die wir im Handelsblatt erfahren:

„Nur wenn etwas neu sei, löse es eine Euphorie aus. Werde es Alltag, verfliege das Glücksgefühl ganz schnell.“

Sogar Erwin Kostedde mit seinem berühmten Spruch kommt — quasi — drin vor:

„Der Traum vom Nichtstun wird schnell zum Alptraum.“

Allerdings ist a) eine Depression etwas gänzlich anderes als „unglücklich“ zu sein und b) Sebastian Deisler möglicherweise zur Zeit wesentlich glücklicher als er es je war, obwohl er ebenso möglicherweise sogar deutlich weniger Geld hat als vor einiger Zeit.

Dennoch bleibt auch der Rest des Spiegel-Beitrags zur Diskussion um die Psyche und ihre Malfunktionen lesenswert, ganz besonders gefällt sogar der Gedanke, Tests einzuführen, um herauszufinden, zu welcher Gruppe man in Bezug auf die persönliche Antidepressiva-Wirksamkeit gehört, da bestimmte Sorten dieser bei 30-50% der Menschen unwirksam seien. Das sparte nicht nur Geld, sondern reduzierte auch die Zeit bis zur wirksamen Hilfe entscheidend.

Nicht reduziert ist allerdings das Angebot, die Bücher des Interviewten auch im Spiegel-Shop zu erwerben und irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das ganze Interview damit ein Geschmäckle hat. Man geht halt nur in Talkshows, wie es der Spiegel in diesem Falle eine geschriebene ist, wenn man etwas zu verkaufen hat.

Deisler kommt dennoch nicht wieder, auch wenn er immer noch im fußballfähigen Alter ist. Schade.

Aber schade für wen und was?

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