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Schlagwort: Pitchspotter

Den bitteren Nachgeschmack loswerden

Wie ein in Deutschland lebender Amerikaner, dem man vergeblich versuchte, den Fußball näherzubringen, feststellte, ist Fußball deshalb so langweilig, weil die Mannschaft, die erstmal 2:0 führt, fast immer auch gewinnt.

Daran musste ich denken, als es nach 20 Minuten 0:1 stand und ich mir kaum vorstellen konnte, das solch krasse Fehler erneut passieren würden, dass es gleich noch mal zu einem Gegentor kommen würde.

Nach eigener Ecke ausgekontert, und das auch noch wie die viel zitierte Schülermannschaft — möglicherweise eine Folge dessen, dass man defensiv auf diesem Niveau viel zu selten gefordert wird. Selbst Griechenland erzielt 2 Tore gegen die deutsche Mannschaft, welche das dort aber mit 4 eigenen Toren mehr als wett machen kann. Zu-Null-Spiele sind rar, und wenn man dann Italien vor der Brust hat, klappt es halt nicht zwangsläufig mit den nötigen eigenen Toren.

Ein Mitseher verkündete in der Pause, dass ein 0:2 aufzuholen ja schon schwierig sei, in nur 45 Minuten, aber ein 0:2 gegen Italien aufzuholen sei quasi unmöglich. Natürlich hätte man ein frühes Tor willkommen geheißen, und doch hätte man genauso wenig gegen 2 späte Tore einzuwenden gehabt.

Vermiest wurde die Stimmung beim öffentlichen Sehen an einem recht zivilen Orte, keinem expliziten Public-Viewing-Ort, aber schon vorher davon, dass ein Mitseher lautstark die „Scheißitaliener“ beschimpfte und sich wohl auch ansonsten im Stadion wähnte, und nicht in einer recht gesitteten öffentlichen Runde. An einem Ort, an dem ich derartige Ausfälle nicht erwartet hätte, legten sich auch andere noch ähnlich ins Zeug, immerhin blieb es bei „Superdeutschland“-Gesängen und nichts Anderem.

Eine Niederlage, bei der man nach 36 Minuten 0:2 hintenliegt, ist immer besser als ein Dortmund oder Manchester Barcelona, wo man die emotional kalte Dusche erst Sekunden vor dem Ziel erhält. Besser zu verarbeiten meint das, denn schlecht sind Niederlagen in KO-Rundenspielen immer. Weshalb man auch guter Dinge war, dass diese Niederlage, ebenso wie das Finale 2008 nicht allzu lange würde nachhängen.

Vielleicht noch auf ein paar geschwätzige Worte ins Stamm-Tanzlokal, wo man den einen oder anderen zu treffen hoffte, der sich mit dieser überflüssigen wie krude zustande gekommenen Niederlage auseinandersetzen wollte, und man könnte vielleicht den Podolski’schen Weg des Umgangs mit Niederlagen oder Abstiegen gehen: Nach einem Tag schon wäre alles verarbeitet. Man könnte es ja wenigstens mal versuchen, dieses ärgerliche Verlieren nicht immer so breit auf die Laune Einfluss nehmen zu lassen.

Also noch rüber zum Stamm-Tanzlokal, nicht weit vom öffentlichen Guckort. Dort alles voller Schlandis, in einem Etablissement, das mit seinem sonstigen Programm ein Publikum anzieht, das völlig fern des Schlandismus ist. Außer an jenem Abend, möglicherweise, weil es so nah zum öffentlichen Guckort liegt.

Und wie man dort bei noch einigen Bieren über das so unnötige Ausscheiden und einhergehende Platzen des Traumes vom Titel palavert, schwingen einige der weiter hinter im Raum sitzenden Schlandis, optisch ansonsten unverfänglich wirkend, tatsächlich ein dreimaliges „Sieg Heil!“ an.

Liest sich jetzt irgendwie so weg, kennt man ja von überall und allen Idioten. War aber tatsächlich ein echter Schlag in die Magengrube. Kennt man zwar, aber nicht an einem Ort, der üblicherweise völlig frei von derartigen Holzbirnen ist, sofern das beim einfachen Gespräch zu beurteilen ist. Und sicher, vielleicht, hoffentlich war es auch erstmal nur die Lust an der Provokation, keine echte Anhängerschaft des Nationalsozialismus, die da sprach. Nicht nur fred hat schon des öfteren „Heil Hitler!“ oder Ähnliches in Fußballkabinen vernommen, ohne dass die Aussprechenden Neonazis waren.

Und dennoch war das noch das i-Tüpfelchen auf der Stimmung für diesen Abend, der damit einen ganz üblen Nachgeschmack hinterließ. Scheißitalienrufende Deppen beim Spiel, hinterher Sieg-Heil-Gröhlende in einem Laden, wo man derart achtloses Rumprollen und -pubertieren nicht erwarten würde. Mir fiel das Gesicht aus der Kinnlade oder umgekehrt und ich ging, nach kurzem Hinweis an den Besitzer, was da gerade skandiert worden war, nach Hause ins Bett.

Am nächsten Tag wollte dieses schale Gefühl des Wiederverlorenhabens nicht weichen, gewürzt mit Sieg-Heil-Rufen von Vollidioten, Podolski ist da einfach besser als ich, weshalb eine Methode hermusste, die schon Bono von U2 angewandt hatte, als er nach dem Live-Aid-Konzert von 1985 dachte, den Auftritt seiner Band komplett in den Sand gesetzt zu haben. Bono schnappte sich ein Auto und fuhr drei Tage lang durch Wales. Ganz so schlimm war es bei mir nicht, aber ich setzte mich ebenfalls in ein motorisiertes Gefährt.

Um mal die eine oder andere Ecke der Stadt zu erkunden, die bislang aus weißen Flecken auf der kognitiven Landkarte bestand. Und wie es der Zufall so wollte, tat sich irgendwo hinter einer Ecke, weit südwestlich vom Wedaustadion, wo Duisburg ohnehin nur aus Grün besteht, plötzlich ein Fußballplatz auf, auf dem gerade ein Kleinfeldturnier stattfand.

Genug Anlass zum Pitchspotten war auch gegeben, denn dahinter befanden sich noch zwei weitere Ascheplätze, einer gut in Schuss, einer schon halb von der Natur zurückerobert. Und solche Plätze liebe ich ja.

Ein zugewuchertes Tor, ein Platz, auf dem man schlendern kann, die Schuhe nass vom feuchten Rasen, auf dem gerade das Turnier im Gange war und die vereinzelten Torschreie, wenn mal wieder ein Ball den richtigen Weg gefunden hatte.

So etwas macht doch gleich das Hirn ein bisschen freier und vermindert den üblen Geschmack der Sieg-Heil!-Rufe im eigenen Stammladen.

Achja, und dann gehen solche Dinge ja immer auch ein wenig durch den Magen. Welcher fußball-adäquat versorgt sein will, um die Niederlage, das Überflüssige daran und die Schlandis mit ihrem ebenso überflüssigen Nationalismus abzustreifen, wie alle drei Dinge einem länger auf dem Gemüt herumsitzen, als es dem Anlass angemessen wäre. Was dieser entspannte Abend nicht zu eliminieren in der Lage war, war die Gewissheit, dass an dieser Form von Partypatriotismus überhaupt nichts harmlos ist, wenn er so ausartet.

Immerhin mal in die Bezirksliga aufgestiegen.

Pitchspotting saves lives Stimmungen.

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Pitchspotter

Jeder kennt seit einem bestimmten Film diese Trainspotter. Wenn ich das richtig verstanden habe, sind Trainspotter Menschen, die sich dafür interessieren, tolle Aufnahmen von tollen Loks (oder Zügen) zu machen. Ein naher Bekannter ist allerdings kein richtiger Trainspotter, weil er sich eigentlich für eine dem Trainspotting artverwandte Tätigkeit interessiert, aber erstens wäre das zu kompliziert zu erklären und zweitens hat er hier eigentlich auch nix zu suchen. Also lesen soll er natürlich gerne (was er nicht tut), aber erwähnt werden, dazu müsste ich ihn erstmal fragen.

Ganz wie er aber nur eine Nachbarsart des Trainspotting betreibt, bin ich auch nur etwas Artverwandtes von einem ohnehin schon leicht obskur anmutendem Hobby. Ich bin kein Groundhopper, kein Trainspotter, kein Trainhopper oder gar S-Bahn-Surfer, sondern Pitchspotter.

Ich bin Pitchspotter. Der Unterschied zwischen einem Pitchspotter und einem Groundhopper ist der, dass ein Groundhopper nur dann Interesse daran hat, ein Stadion/einen Fußballplatz zu besuchen, wenn auch ein Spiel stattfindet. Alte Groundhopperehre sagt, glaube ich, dass man mindestens eine Halbzeit eines Fußballspiels in diesem Stadion vor Ort verfolgt haben muss, sonst zählt der Groundhoppingpunkt nicht. Einem Pitchspotter ist vollkommen egal, ob in/auf diesem Stadion/Fußballplatz ein Spiel stattfindet oder nicht, Hauptsache, er hat es/ihn, womit das Stadion, der Platz gemeint ist, keine Partie, überhaupt gesehen.

Und so ein Pitchspotter bin ich. Pitchspottern ist es auch egal, in welcher Liga die jeweils dort beheimatete Mannschaft spielt, Hauptsache, wie gesagt, man hat den Platz gesehen. Der Platz muss nicht mal irgendwelchen FIFA-Normen entsprechen, er darf auch gerne ein Non-League-Ground sein. Nach Möglichkeit kann man auch Fotos machen, das ist aber nicht so wirklich relevant und mir sind auch keine Pitchspotter bekannt, die wie die vielen Groundhopper ausführliches öffentliches (sprich: im Netz) Tagebuch darüber führen, wann sie welche Partie gesehen haben (was daran liegen könnte, dass mir überhaupt kein anderer Pitchspotter bekannt ist). Wichtig ist einfach nur der Moment, das Erleben, an irgendeinem x-beliebigen Orte zu sein und den Platz, die Ausmaße, die besondere Atmosphäre (mir ist noch kein Fußballplatz begegnet, der keine besondere Atmosphäre aufzuweisen gehabt hätte, zu dem nicht mindestens die Vokabel „trostlos“ gepasst hätte, und auch dies passt selbst im Ruhrgebiet nicht so häufig, wie man befürchten müsste) aufzusaugen, den Moment zu genießen, wenn hinter dem Fangzaun die Blätter des Waldes oder die Autobahn rauschten und man sich die enorme Fläche, die so ein Fußballfeld frisst, mal wieder vergegenwärtigen kann. Aber eben auch, wie er friedlich da liegt, wenn noch am Sonntag zuvor sich dort Hinz und Kunz an die Gurgel gegangen sind oder gemeinschaftlich den Schiedsrichter vom Platz gejagt haben.

Nun ist das Hobby des Pitchspottens, welches sich naturgemäß eher in den unteren Spielklassen ereignet, denn den Weg zu den großen Stadien findet natürlich jeder, nicht besonders verbreitet, oder wenn doch, dann wüsste ich nicht, wo sich andere Pitchspotter rumtreiben. Da es dabei aber ohnehin nicht um Gepose oder Punktesammeln geht, bestimmt das Erlebnis als solches die Erfahrung, auf diesem Platz oder zumindest seinen Tribünen zu sein. Insofern ist es auch egal, wie viel andere oder gar nicht so andere, aber nicht man selbst, Menschen es gibt, die das auch betreiben. Weil man fürs Pitchspotten keine Liste führen muss.

Man braucht nur da zu sein und zu inhalieren.

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