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Das Geheimnis der schrägen Gehirne

Berge. Sind scheußlich. Stehen im Weg rum, man kann weder dranvorbeilaufen noch dranvorbeischauen. Man kann nicht drumherum laufen, dafür sind sie zu groß. Man muss mühsam rauflaufen, auf der anderen Seite noch mühsamer wieder runter. Bergab laufen ist anstrengender als bergauf. Sehr fies von so einem Berg, dass er in der zweiten Hälfte seiner Überwindung auch noch den anstrengenderen Teil bereithält. Das einzige, was an Bergen gut ist, ist dass man runtergucken kann, wenn man obendrauf ist. Wie erwähnt muss man dafür aber rauflaufen.

Noch schlimmer an den Bergen ist, dass sie nicht eben sind, sondern schräg. Alle Menschen, die in bergigen Regionen aufgewachsen sind, müssen eine andere Hirnstruktur haben als die meinige, welche diese optische Schrägheit immer ausgleicht. Ich verspüre stets ein drängendes Bedürfnis, in bergigen Landschaften die Wasserwaage herauszuholen, und die Landschaft geradezurücken, bis der Horizont endlich horizontal liegt. Was mit Bergen aber in den seltensten Fällen gelingt, nicht einmal in einer Hügellandschaft will dieses Unterfangen von Erfolg gekrönt sein.

Einzige Ausnahme für Berg- und Hügelmenschen, jene mit eingebautem Schrägheits-Korrektor, an denen sie völlig ebene Fläche in ihrem Leben erfahren können, sind natürlich Fußballplätze. Was auf diese Gehirne sehr merkwürdig wirken muss. Schräge Gehirne und plötzlich ebene Flächen — ob da dann irgendetwas aussetzt? Ob dieser Korrektor willentlich abgeschaltet werden kann? Ansonsten überall Schrägheit, wo man hinblickt. Haustür geöffnet, Fuß vor die Tür gesetzt: alles schräg. Rauf auf die Berge: schräg. Runter: schräg.

Komischerweise scheint das keinen Einfluss darauf zu haben, wie gut oder schlecht diese Menschen sich auf einem ebenen Fußballplatz bewegen können. Zwar sind die Holländer besonders gut im Weltfußball zu nennen, und da ist alles eben. Aber es gibt genauso viele Nationalspieler aus Gelsenkirchen (eben) wie aus Bayern (oft, wenn auch nicht überall schräg) und der Bundesdräner högschtpersönlich stammt aus einer äußerst schrägen Gegend. Die Jugendarbeit des VfB Stuttgart soll gar einen besonders guten Ruf genießen. Es scheint also nicht der Fähigkeit abträglich zu sein, auf ebener Fläche möglichst schnell geradeauslaufen zu können, wenn man ansonsten nur Schräges in seinem Alltag um sich herum hat. Dennoch bleibt die Frage spannend: Wie machen diese Gehirne das nur, dass sie plötzlich, für 90 Minuten, alles Schräge aus den Umrechnungen der Wahrnehmung verbannen? Ein Geheimnis, dass nur Bergmenschen erklären können. Vielleicht habe ich heute Abend die Möglichkeit, das mal in Erfahrung zu bringen.

Denn ich fahre heute nach München, bzw. bin gerade schon unterwegs. Und lese dort etwas vor. Kommt doch vorbei, falls Ihr in der Nähe seid, im Stadion an der Schleißheimer Straße. Ich nehme doch schwer an, ich kann meinen Impuls überwinden, die Landschaft gerade ziehen zu wollen und mich auf das Wesentliche für diesen Abend konzentrieren. Dass der Baade rund ist, und der Abend hoffentlich auch.

3 Kommentare

  1. netzberg netzberg

    Nimm Dir was Bairisches mit: den FJS-Hafen vielleicht, – und flieg schnell wieder her …

  2. Lieber Trainer,

    Deine sehr netten Ausführungen kann ich als gebürtiger Münchner und seit 16 Jahren Wahlkölner, der das flache genauso kent wie das verhobene – insbesondere in den eigenen Texten – nur allzu gut nachvollziehen. Aber keine Angst, die war schon immer ein schlechter Wegbereiter! Wie war´s übrigens gestern im ehemaligen „Vollmond“, dem heutigen „Stadion“? Ich nehme an, Dir ist ausreichend und wie immer vollkommen zu recht gehuldigt worde, Meister-Trainer! Und: Bist du mit „der Sprache“ bzw. „dem Dialekt“ zurechtgekommen? Wahrscheinlich schon – das Münchnerisch eist ja schon ziemlich eingepreusst, heutzutage. Ansonsten nur das Beste – und komm heile nach Hause! Andreas Bach, Hauptsache Fussball, kKöln.

  3. Mit der Sprache gab es durchaus Probleme, überraschenderweise. Zwar nur vereinzelt, aber ich musste doch immer wieder nachfragen, was jemand gesagt hat. Gar nicht wegen eventueller mir nicht bekannter Vokabeln, sondern wegen des Dialekts an sich und dem anderen Tonfall.

    Aha, Vollmond hieß der Laden früher, das stand auch noch an diversen Stellen im Laden zu lesen, ist mir aufgefallen, hat mich gewundert.

    Wie es war, hat der Stadtneurotiker hier aufgeschrieben, mir selbst hat es wirklich außerordentlich gefallen, ich würde sogar sagen, es war die beste Lesung, die ich je in München hatte.

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