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Die nicht ganz absolut reinen Schamhaare von Christoph Daum

Sicher ist nur, dass nichts sicher ist. Weshalb vollumfänglich alle Informationen, die von Ereignissen im Fußball zu uns dringen, immer unter dem Vorbehalt behandelt werden müssen, dass das nur jene sind, die nach draußen dargestellt werden und in Wirklichkeit alles ganz anders war. Was das Drüberbloggen und Einordnen reichlich schwierig macht und oft sogar unmöglich, wenn man nicht beim bloßen Rummeinen versacken will. Schade.

Abgesehen von ohnehin bestehenden Problemen menschlicher Realitätskonstruktion und dazu der haarsträubenden systematischen Fehlerhhaftigkeit von Zeugenaussagen könnte man diesen Zustand nur durch echte Recherche ändern. Was etwas schwierig ist, wenn man dafür auch Zeit einsetzen müsste, die nicht vergütet wird. So lange man kein Geld besitzt, das für einen arbeitet, während man diese Zeit woanders einsetzt, ist das zumindest ein Problem, für diesen Ort hier gar eine unüberwindbare Hürde in Bezug auf echten Erkenntnisgewinn. Wobei sich auch die zu verneinende Frage nach dem wissenschaftlichen Wert für die Menschheit stellte, längst vergangene Skandale und Geschichten im Fußball „aufzuklären“.

Diesen Vorbehalt nicht vergessend, lautet das allgemein verbreitete, aber falsche Narrativ, dass Christoph Daum nicht mehr ganz Herr seiner Sinne gewesen sein muss, als er seinerzeit einem Drogentest zustimmte, von dem er eigentlich annehmen musste, dass er ihn nicht bestehen würde. Zumindest erscheint diese Entscheidung ohne jegliches weitere Wissen äußerst kontraintuitiv. Schließlich gab es keinerlei juristische Grundlage, auf der die Öffentlichkeit Daum zu einem solchen Test hätte zwingen können. All das bedeutete eine Umkehrung der Prinzipien eines Rechtsstaats. Gleichwohl der öffentliche Druck auf jemanden, der das wichtigste Amt der Republik — Bundestrainer nämlich — bekleiden sollte, derart groß wurde, dass er sich diesem nicht mehr entziehen konnte.

Aus der Erinnerung an irgendwo mal gelesene Zeilen twitterte ich gestern, dass er sich dieses Risikos sehr wohl bewusst gewesen sei, er nämlich vorab einen Drogentest mit seinen Kopfhaaren habe durchführen lassen, welchen er bestand. (Aus welchen Gründen, ist damit nicht gesagt.) Bei dem öffentlichen Drogentest wurden dann aber zu seiner Überraschung die wesentlich langsamer wachsenden Schamhaare, welche damit auch ein längeres Drogengedächtnis aufweisen, verwendet. Diese Schamhaare bescherten ihm dann einen exorbitanten Wert an Kokaingehalt, welcher sogar den eines „normalen“ Dauerkonsumenten weit überstieg.

Das Ergebnis der Haaranalyse ergibt „den höchsten Kokain-Wert, der je in Köln gemessen wurde“.

Quelle: NDR.de

Die Einstufung, dass er nicht ganz bei Trost sein konnte, erhärtete sich durch seine Art während seines öffentlichen Geständnisses, darüber auch noch ins Witzeln zu verfallen (auch wenn Galgenhumor oder auch Übersprungsreaktionen dem Menschen nicht fremd sind).



So wie oben beschrieben lautete jedenfalls meine Erinnerung.

Tatsächlich muss es aber wohl wieder anders gewesen sein, wie kurzes Suchmaschinenbedienen und Einlesen ergab.

Denn seine Kopfhaare ergaben tatsächlich einen viel höheren Wert als jene, den seine Schamhaare (die er im Beisein von Co-Trainer Roland Koch — „eine unwürdige Situation“ — eigenhändig abschnitt) lieferten. Dass Daum den immens hohen Wert gegenüber Rainer Calmund damit begründete, dass er nicht seine eigenen Kopfhaare, sondern die eines anderen Menschen abgegeben habe, erklärte sich Roland Koch in dem später in Koblenz stattfindenden Prozess um Daums Kokainkonsum damit, dass Daum hochgradig verzweifelt gewesen sei und deshalb zur Lüge griff.

Auch im Prozess blieb anscheinend unklar, wie es zu diesem Rekordwert hatte kommen können, nach dem Daum ein hochgradig abhängiger Dauerkonsument gewesen sein muss. Welcher er nach Beteuerungen aller Involvierten nicht war.

Den netten Schlenker mitnehmend, dass bei Calmunds Aussage „bis zur kurzen Pause […] ihn das Gericht sieben Mal mit dem Wunsch um Wesentlichkeit unterbrechen“ musste, ist weiter zu lesen, dass Calmund, der nicht wissen konnte, dass Daum selbst dann doch zugab, dass die Haare von ihm stammten, sowohl den Co-Trainer Koch als auch den Physiotherapeuten von Bayer der Mittäterschaft beim Vertauschen der Haarprobe bezichtigte. Mit Daums Korrektur seiner vorigen Lüge waren diese Vorwürfe aber bereits nichtig geworden.

Der hohe Wert war damit aber immer noch nicht erklärt, denn:

Es stellte sich heraus, dass alle Anschuldigungen auf dauerhaften Drogenkonsum und erst recht auf Anstiftung zum Handel auf Aufschneidereien der mutmaßlichen Dealer beruhen.

Quelle: Berliner Zeitung

So bleibt mit Bordmitteln die Frage also offen, wie er zu diesem Rekordwert in seinen Kopfhaaren kommen konnte, warum die Schamhaare einen niedrigeren Wert produzierten und ob er nun Dauerkonsument war oder nicht. In jedem Fall hatte er aber keine Dummheit begangen, als er nach einem zuvor privaten, negativ ausgefallenen Test einem öffentlichen zustimmte. So wie ein gerade aktuell im Fußball außerhalb des Fußballs Handelnder möglicherweise auch nicht so unvorbereitet agiert, wie es — siehe Einleitung — den Eindruck macht.

Dann bleibt in diesem Zuge spannend, wie es überhaupt dazu kam, dass Daum plötzlich unter den Druck all dieser Vorwürfe (Prostituierte und Schulden kamen noch hinzu) stand. Und wie im Jahr 2000 und davor Realitäten im Fußball in den Medien erschaffen wurden.

Wer eine umfassende Hinleitung zu diesem Vorfall mit dem seit 1989 schwelenden Konflikt zwischen Daum und Hoeneß, nunja, konsumieren möchte, der findet in der Zeit ein langes Stück mit vielen Hintergründen und noch mehr handelnden Personen: „Das Feindschaftsspiel“, das die Geschehnisse zu einem echten Thriller verdichtet.

Protagonisten wie (früher) üblich im deutschen Fußball: Beckenbauer, Hitzfeld, eine gewisse Zeitung, Hoeneß, Calmund, Breitner, Lienen, Völler und natürlich Daum. Für einen fußballfreien Abend ist dieser Text nicht das Schlechteste, Bayer Leverkusen tritt heute bekanntlich nur zu einem Freundschaftsspiel an. Den Makel, dass jenes Stück einen Tag vor Bekanntwerden des dann doch positiven Tests von Daum erschien, überlebt es angesichts seiner spannenden Geschichtchen jedenfalls problemlos: ordentlich Schlamm, Halbseidenes und Boulevard. Und die Einsicht, dass Akademiker ohne Stallgeruch an den entscheidenen Positionen der Soap „Bundesliga“ nicht nur gut tun dürften.

5 Kommentare

  1. Habe ich es jetzt überlesen oder nicht kapiert oder wurde tatsächlich nicht beantwortet, wie es zu diesem „Rekordwert“ kam?

    Und woher stammt die Behauptung, dass die Kopfhaare höhere Werte als die Schamhaare ergeben haben?
    In den verlinkten Texten habe ich das nicht gefunden (bzw. s. erster Satz).

  2. Nein, zur Auflösung dieses Phänomens bin ich nicht fündig geworden.

    Der große Unterschied wird u. a. hier erwähnt:

    Das Ergebnis der Schamhaarprobe hatte einen deutlich geringeren Wert als das der Kopfhaare aufgewiesen.

    Quelle: Spiegel.

  3. Uwe Uwe

    Eine der besten Geschichten aus der Bundesliga. Daum muss sich damals gottmäßig gefühlt haben. Der Konsum war m. E. nicht weiter schlimm, die StA Koblenz hat nur eine Riesensache mit zig Verhandlungstagen daraus gemacht. Sehr kleingeistig bei Privatkonsum.

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