Ich hatte damals noch viel Durst. Es stand 0:0, vielleicht stand es auch 0:2. Öfter mal verloren wir, oft gewannen wir auch. Unentschieden sind selten in den unteren Klassen, müssen Sie wissen. Deshalb schaut ja auch keiner Frauenfußball. Weil man immer schon weiß, wer gewinnt. So schlimm war es bei uns noch nicht, aber zugeschaut hat trotzdem nur, wer Vater oder Onkel war. Mütter gab es sicher auch, die kamen aber nicht wegen des Spiels. Das heißt, wegen des Spiels kamen sie schon, aber nicht wegen des Ergebnisses. Wenn der große Blonde vom Gegner, ausnahmsweise auf Rasen, einen Ball im Tor versenkte, dann schrie sie schon, diese eine Mutter an der Bande. Aber nur weil es ihr Sohn war und nicht weil es um den Sieg ging.
Ich weiß nicht genau, wann das anfing, wann man verstand, dass man nicht mehr nur für Spaß spielte. Man spielte ja schon im Training nicht mehr nur für Spaß. Der Trainer schaute zu und man durfte sich schon im Trainingsspiel eigentlich keinen gröberen Fehlpass mehr erlauben, geschweige denn ein Eigentor. Ogott, ein Eigentor. Man hätte gleich lieber rüberfahren sollen zu den Synchronschwimmern, welche damals noch „Thekenturner“ hießen, so rief der Trainer einen jedenfalls, wenn man einen Fehler gemacht hatte. Man wusste weder, was eine Theke eigentlich bedeutete, noch, was man auf einer solchen hätte herumturnen sollen. Aber dass es nicht gut war, wenn der Trainer „Thekenturner“ ins Trainingsfeld (denn es war ja nur ein Trainingsfeld und kein Spielfeld, so lange wir nur trainierten) rief, das wusste man.
So begann dann langsam aus Spaß Ernst zu werden. Nicht wie in dem alten Karnevals-Kalauer, sondern in der Realität. Man musste von jetzt auf gleich ernsthaft bei der Sache sein und das eigentliche Spiel war kein Spiel mehr. Man porkelte sich die Asche-Elemente, vor denen man sich damals sehr fürchtete, weil irgendjemand geschrieben hatte, dass sie krebserregend sein konnten, daheim in der Badewanne oder Duschwanne aus dem Knie. Dieser ständige Konflikt. Mutter sagte, man sollte nicht immer auf krebserregendem Boden Fußball spielen, aber der Trainer sagte, man solle kein Thekenturner sein und sich gefälligst, das sagte er damals schon, den Arsch aufreißen. Gras fressen konnte er schlecht von uns verlangen, wenn wir allzu selten überhaupt nur auf Rasen spielten und wenn, dann waren wir hoffnungslos unterlegen.
Vielleicht, weil auf Rasen eh nur die spielten, die schon zusammengekauft waren, vielleicht aber auch nur, weil wir so selten auf Rasen spielten. Wir hatten alle in der E-Jugend noch oben auf Rasen gespielt, eine Zeit, in der man weich fällt, ob nun Rasen oder nicht, aber das weiß man ja nicht. Man kann ja nicht vorausschauen, wenn man nicht weiß, wohin. Wir schauten voraus. Oben spielten wir, auf Rasen, in der E-Jugend, unten spielte die A-Jugend. Alte Männer, die ganz bestimmt wussten, was sie taten. Ich zumindest war immer schwer beleidigt, wenn sie verloren, während wir trainierten. Wie konnten sie nur verlieren, wenn sie doch alte Männer waren, die wussten, was sie taten? Wie konnten sie gegen von weither gereiste andere alte Männer verlieren, sie mussten doch wissen, was sie tun, oder auch wissen, was sie tun mussten, um zu gewinnen. Sie gewannen auch, aber sie verloren auch. Ich hatte das immer als persönliche Niederlage empfunden, wenn unsere alten Männer aus der A-Jugend ein Spiel verloren. Was müssen das nur für Pfeifen gewesen sein? Oder auch was müssen das nur für … Leute gewesen sein, die den Sport gar nicht beherrschten? Warum spielten sie denn da unten auf dem großen Feld Fußball, wenn sie dann doch verloren?
Offensichtlich hatten sie doch keine Ahnung, wie dieses Spiel funktioniert. Persönlich beleidigt zu sein half aber nicht viel, wenn man nie auch nur auf eine halbe Fußballschuhlänge in Kontakt mit diesen Leuten kam. Die A-Jugend war schon immer längst aus den Kabinen verschwunden, selbst wenn ihr Spiel gleichzeitig mit unserem Training endete. Erst Jahre später erfuhr ich, dass sie sich in einer anderen Kabine umzogen, weshalb sie auch niemals hätten da sein können, wenn wir unser Training beendeten.
Dass ich dann in der D-Jugend im ersten Jahr nur eingewechselt wurde, weil mein „konditioneller Zustand“ so schlecht gewesen sei, verstand ich nicht. Was ich aber verstand, war, dass der Trainer nicht mehr einer war, der mein oder unser Freund war. Er war unser Feind. Er schenkte zwar jedem zur Weihnachtsfeier einen Beutel voller Schokolade, aber unser Freund war er bestimmt nicht. Er ließ uns immer nur laufen und Gymnastik machen. Um nicht mehr Gymnastik machen zu müssen, dafür war ich doch von den Leichtathleten zum Fußball gewechselt. Und in der E-Jugend war es auch noch so. Wir spielten Fußball. Von morgens bis abends. Wir spielten Fußball von morgens bis abends und alles war toll. Es hörte dann auf, toll zu sein, als wir vor jedem Training um die Aschebahn liefen. Laufen mussten. Ich lief immer hinten dran, etwas, was sich mit Einsetzen der Schamhaarbewachsung noch arg ändern sollte, aber das konnte ich ja damals noch nicht ahnen.
Ich lief immer hinten dran, und irgendwann war es auch nicht mehr lustig, im soundsouvielten Saisonspiel anwesend, aber sowieso höchstens in den letzten 10 Minuten eingewechselt zu werden. So ging das immer auf und ab, ob man jetzt gerade zum älteren oder jüngeren Jahrgang des Jahrgangs gehörte. Wenn ich zum älteren Jahrgang gehörte, war ich plötzlich der schnellste, wenn ich zum jüngeren Jahrgang gehörte, war ich nur hinten dran. Da war sogar dieser Rothaarige plötzlich vor mir, vielleicht weil er irgendjemanden kannte, der an der Bande Bandenwerbung machte für den lokalen Autofritzen.
Ich hatte immer Durst. Aber nicht auf diesen ekelhaften Tee, den Mütter in der Pause servierten, weil sie dachten, dass die Jungs, wenn sie doch schon so froren, wenigstens einen heißen Tee trinken sollten. Da hätte man ja gleich in eine Jugendherberge fahren können. Da gab es immer Hagebuttentee. Und beim Spülen musste man dann helfen. Hagebuttentee, das ist wie Ost-Cola, wenn man ein Getränk erwartet. Und Tee in einer Thermoskanne ist ganz sicher nicht das, was die Jungs zum Sieg treibt. Darum ging es den Müttern aber nicht, nicht um den Sieg, sondern darum, dass sich keiner erkältete oder erfror. Als wenn man je gehört hätte, dass sich ein Jugendspieler zu Tode gefroren (!) hätte, während er Fußball spielt. Man kann auch bei Minus 20 Grad Fußball spielen, aber das werden Mütter von kleineren Jungs nie verstehen.
Dieser Tee war jedenfalls fürchterlich. Und wenn man dann beim Gegner spielte, bekam man immer die Kabine ohne Duschzugang, auf dass man, wenn man schon die Punkte in einem glorreichen 5:2-Auswärtssieg mitgenommen hatte, sich wenigstens einen gesundheitlichen Tod holte. Holte man sich aber nie. Man durfte nur kein Eigentor im Training schießen.
Verletzungen gab es keine. Gab es nie. Wie schwer auch der Gegner foulte, es gab einfach keine. Die einzigen Ausfälle waren dann zu beklagen, wenn eine Familie zu einer Hochzeitsgesellschaft abreisen musste oder wenn eine der Familien beschloss, außerhalb des Terminkalenders in Urlaub zu fahren. Was deshalb verwunderlich war, weil der Terminkalender doch auf den Schulferienkalender abgestimmt war. Trotzdem waren das die einzigen beiden Gründe, warum ein Spieler fehlen konnte: Entweder er war im Urlaub, oder einer aus seiner Familie heiratete.
Die Duschen waren immer gleich scheiße, auf beiden Seiten. Bei uns gab es eigentlich gar keine Duschen. Das war mehr so ein erweitertes, in den Boden eingelassenes Klo. Mit zwei Duschköpfen von oben. Wer da hätte duschen wollen, der hätte auch zugegeben, dass er zu Hause keine bessere Dusche zur Verfügung hat. Wenn es ein Heimspiel war, haben wir immer die Duschen angeschaltet, damit der Trainer glaubte, wir hätten geduscht, aber dann sind wir doch lieber nach Hause gegangen. Ob die anderen Jungs wirklich bessere Duschen hatten als dort zur Verfügung, weiß keiner. Aber wer hätte sich das noch getraut, dort zu duschen, wenn klar war, dass man dort nicht duscht, sondern lieber zu Hause?
Schon wieder wow!
Wem-auch-immer-sei-Dank bringt die Sommerpause den Trainer dazu, Fundamentales niederzuschreiben. Und das wenig Überraschende ist: Es hat sich nix geändert.
Bis auf die Duschen und die Getränkeauswahl der Fußballmütter.
Das ist mir so was von aus der Seele geschrieben.
Wo bleibt der Spaß? Mancherorts hört der schon in der F-Jugend auf.
Da muss man sich nicht wundern, wenn hierzulande manchmal sehnsüchtig, aber mehr noch arrogant von oben herab, über die Ball-, Kurzpass- oder sonstige Verliebtheit der Südländer schwadroniert wird. Ob die Jungs dort auch so früh schon auf Erfolg getrimmt werden? Oder dominiert dort mehr der Spaß am Spiel? Verliebtheit ohne Spaß geht einfach nicht! Und verliebt in den Erfolg? Das funktioniert nur ohne Gefühl. Fußball/das Leben ohne Gefühl? Scheint die Mehrheit zu sein.
Zum Abschluß: Kann man durch Freudlosigkeit Spaß an irgendwas vermitteln?
Fast hätte ich geglaubt, der Trainer hätte seine Weltkarriere genau wie ich beim 1.FC Wülfrath begonnen, so bekannt kommen mir die Schilderungen vor. Gäbe es da nicht den einen, feinen Unterschied, der es klar macht: wir hatten damals niemalsnienicht einen Rasenplatz. Rasenplätze gab es in der gesamten Umgebung nur zwei: Das Stadion Am Zoo in Wuppertal und das Stadion Zur Sonnenblume in Velbert.Sonst nix. Aber auch diese beiden Rasenplätze hätten uns nix genutzt, denn da sie so selten waren in meinem Umfeld, durften selbstverständlich nur die Senioren darauf kicken. Die ganz alten Leute also. Das hätten wir uns dann auch empört verbeten, selbst wenn die Möglichkeit mal bestanden hätte.
Fußball-Generation Golf – sehr schön.
PS. Der Tee, der war wirklich immer eklig.Von den Duschen mal ganz abgesehen.
Das ist mal wieder ein Beitrag für alle, die sich immer noch fragen, wofür es eigentlich Blogs gibt. Eben drum. Und wofür taugen Fußball-Blogs eigentlich? Lesen! Fußballkultur ist manchmal auch kein abstrakter, mühsam herbeizitierter Kunstbegriff…
In den Feuilletons wird ja immer mal wieder gefragt, wo denn der große Soundsoroman bleibe („Wende“ war dabei recht lange ziemlich beliebt).
Die Frage nach dem Fußballadoleszenzblogbeitrag ist zumindest geklärt.
Gratulation, Trainer… wieder ein Text der auch außerhalb des Blog-Universum bestehen könnte/sollte/würde/wird/wasauchimmer…
Mach schnell ´nen Roman draus, bevor es der Goosen klaut.
Sehr schön, bringt ähnliche Erinnerungen hoch. Ich kann mich allerdings nicht an Hagebuttentee erinnern, dafür an den klebrig süßen Zitronen“tee“, für den so komische, dreckig beige Kügelchen mit heißem Wasser übergossen wurden. Den habe sonst nie, nie, nie getrunken, geschweige denn gesehen.
[…] wie Sebastian in seiner Schilderung der legendären Nacht in Chisinau, der Trainer in seiner Ode an den Hagebuttentee, bunki in seiner Liebesgeschichte oder Jannik mit seiner als Spielbericht getarnten Chronik […]
[…] vergessen hatte) Trainer verschaffte uns, ganz Übungsleiter, aufmerksamen Thekenturnern, die statt Hagebuttentee Spaten tranken, später ein wenig Bewegung, als er ein Quiz veranstaltete, dessen Fragen wir hier […]
[…] Bingo Bundesliga„. Er entführt in die Kindheit, wo vorsorgliche Mütter ihre Kinder mit Hagebuttentee vor dem Erkältungstod […]