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Schlagwort: Flaschenwurf

He broke the rules

Die rules sagen nämlich, dass x Prozent des eigentlich schon pervers anmutenden Gehalts als Fußballprofi der oberen Kategorie Schmerzensgeld dafür sind, dass man eine Person des öffentlichen Interesses ist. Also y Prozent des Gehalts werden für die fußballerischen Fähigkeiten bezahlt (übrigens immer, auch dann, wenn derjenige sie nicht einbringt), x Prozent sind Schmerzensgeld. Dafür, dass man Interviews geben muss, Radio-, Fernseh-, Blog-Interviews, dass man eine Webseite betreiben sollte, auf der man private Nichtigkeiten und vermeintlich eigene Meinungen zum Besten gibt, auf dass die Fans („Werde ein Fan!“) das Gästebuch stürmen und auch dafür, dass man seine Visage in Fotos halten muss, die im kicker-Sonderheft oder bei Panini, in Zeitungen und auch im Internet erscheinen.

Teil des Deals ist es dann auch, als öffentliche Person, damit zu leben, dass man beschimpft wird, wenn der Erfolg ausbleibt. Diesen Deal hat Paulo Guerrero gestern verletzt.

Man mag es als neutraler Mensch, der nicht vom Fußballvirus infiziert ist, äußerst merkwürdig finden, dass Trash Talk Teil des Spiels ist, dass Marco Materazzi auf Zinedine Zidanes Schwester herumhacken oder sie sexuell begehrlich finden kann oder eben auch nicht, aber genau das vorgibt, und genau das Zinedine Zidane mitteilt, weil doch jeder wusste, dass Zizou im Grunde seines Herzens bei Tottenham hätte unter Vertrag sein sollen: ein Heißsporn, den man leicht mit solchen Mitteln aus der Konserve locken kann. Gelungen. Titel für Italien. Herzlichen Glückwunsch. Unlautere Mittel? Aber wieso denn, auf dem Platz ist alles erlaubt, oder nicht?

Wenn sich dann schlichtere Gesellen finden, die ernsthaft annehmen, dass sie mit dem Eintritts-Geld auch das Recht auf Beschimpfungen erkauft haben – wenn man diese ausschlösse, dürfte ein nicht geringer Teil der Zuschauer eigentlich gar nie mehr ins Stadion. Denn natürlich gehört es zur Folklore, die Gegner zu beschimpfen, ihnen alles Schlechte und Unglück der Welt zu wünschen, aus der Anonymität der Tribüne (ob nun Steh- oder Sitz- spielt dabei keine Rolle) und nachher befriedigt nach Hause zu gehen, weil man endlich mal wieder die eigenen dunklen Triebe rauslassen konnte und noch dazu dem Verein des Herzens etwas vermeintlich Gutes getan hat.

Wenn es sich dann gegen die eigenen Leute richtet, wird plötzlich aufgeheult: Au weia! Wie kann er nur. Den eigenen Spieler beschimpfen, und dann auch noch unter der Gürtel- oder pc-Linie.

Erstaunlich ist daran eigentlich nur, dass solche Vorfälle so selten passieren.

Bei 20-30-40.000 Zuschauern im Stadion muss der Idioten-Anteil empirisch gesehen ohnehin schon höher sein als es die geringe Zahl der Vorfälle dieser Art suggeriert.

Ein Idiot hat also das getan, was er sonst immer mit den Gegnern tut: er hat einen Spieler seines eigenen Klubs beschimpft.

Guerrero ist selbstredend auch nur ein Mensch, und Beleidigungen dieser Art sind zwar eigentlich mit dem Gehalt abgegolten, dass jemand dann mal zufällig doch ernsthaft zuhört und die Inhalte, die der Idiot ihm an den Kopf wirft, ernst nimmt, ist bedauerlich.

Denn Guerrero war schon bezahlt dafür, diese Äußerungen hinzunehmen. Wie er auch jegliche negativen Schlagzeilen in Zeitungen und Blogs hinnehmen muss, weil es Teil des Deals ist, dass er das hinnimmt. Ein Arbeitnehmer verkauft natürlich weder seine Menschenrechte noch seine Würde mit einer Unterschrift unter einen Profifußballvertrag, aber: erwartet wird es von ihm.

Weshalb der Hase dort im Pfeffer liegt, wenn man solche „Fans“ ins Stadion lässt. Und hinnimmt, dass die eigenen Fans weiterhin die Gegner aufs Übelste beleidigen. So etwas gibt es nicht im Volleyball, nicht im Handball und nur zu geringen Teilen im Eishockey. Im Fußball aber soll es aus nicht nachvollziehbaren Gründen zur Folklore gehören, den Gegner zu verunglimpfen. Wenn dann dieses schlichte Gemüt sich gegen die eigenen Spieler wendet, ist man plötzlich vollkommen aufgebracht. Dabei könnte man an jedem Spieltag Tausende Leute wegen Beleidigung (des Gegners) aussortieren.

Wenn man denn wollte.

(Frank Rost jedenfalls will offensichtlich nicht. („Das ist normal, das gehört zum Fußball dazu.“) Aber wir waren hier ja auch beim Thema „schlicht“.)



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