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Schlagwort: Ronald Reng

Ronald Reng in Ruhrort: „1974 — Eine deutsche Begegnung“

Beim von Kees Jaratz in diesem Jahr aus der Taufe gehobenen Fußball-Literatur-Festival, wahlweise auch Fußballliteraturfestival „Nachspielzeit“ musste der Lesetermin von Ronald Reng im Frühjahr ausfallen. Was damals bedauerlich war, führte dazu, dass man jetzt im Oktober noch einmal einen Nachklapp zu diesem Festival erhielt, auf dem Autoren wie Dietrich Schulze-Marmeling, Christoph Ruf oder Hardy Grüne wie auch einige Hobbyschreiber lasen, der gelungener nicht hätte sein können. (Impressionen hier.)

Ronald Reng, den man an dieser Stelle wohl nicht vorstellen muss, kam mit Auszügen aus seinem aktuellen Buch „1974 — Eine deutsche Begegnung“ im Gepäck ins „Plus am Neumarkt“ in Ruhrort und hatte neben guter Laune auch viel Hörenswertes rund um die für dieses Buch geführten Gespräche mitgebracht.

Dabei ist Rengs Werk kein Fußballbuch, sondern eines über deutsche Geschichte, mit dem Aufhänger des einzigen Länderspiels zwischen der Bundesrepublik und der DDR, in jenem Juni 1974 im Hamburger Volksparkstadion. Wer damals das einzige Tor zum 1:0-Sieg der DDR erzielte, dürfte für Fußballinteressierte zum Allgemeinwissen zählen. Jürgen Sparwasser sei dann auch der einzige der angefragten Zeitzeugen gewesen, der bei diesem Thema absagte. „Nicht schon wieder! Nein, nein, nein“, soll er (sinngemäß) am Telefon gestöhnt haben und war nicht bereit, seine Erinnerungen dazu zum x-ten Mal darzulegen.

Dafür fand Ronald Reng zahlreiche andere Menschen, die auf teils ungewöhnlichen Wegen eine Verbindung zu dieser Partie haben. Gerd Kische war als Spieler beteiligt, ebenso Günter Netzer, doch was ein RAF-Terrorist, Schauspieler an einem Theater in Ost-Berlin, Kanzlersohn Matthias Brandt oder die Stasi damit zu tun haben, erfährt man entweder in dem Buch selbst oder erfuhr man auf dieser Lesung. Reng beleuchtet ein geteiltes Deutschland, das sich in den frühen 1970er Jahren einerseits gesellschaftlich im Aufbruch befand, andererseits aber noch viel alten Muff aufwies. Neben den natürlich trotz aller Annäherung immer weiter auseinanderdriftenden Lebenswelten in Ost und West.

Kees Jaratz und Ronald Reng auf der "Nachspielzeit" in Duisburg-Ruhrort.

Kees Jaratz (links) und Ronald Reng vor Rengs Lesung in Ruhrort.

Ronald Reng ist nicht nur eine, was immer im Geiste des Betrachters liegt, sympathische, sondern auch erstaunlich jungenhaft gebliebene Erscheinung, dessen Freude an der Präsentation seiner Arbeit den Abend noch gelungener machte, als es ohnehin der Fall gewesen wäre. Schließlich hatte Reng auch schon im vielleicht – das wäre zu diskutieren – besten deutschsprachigen Fußballbuch überhaupt, „Spieltage“, meisterhaft verstanden, die Ereignisse auf dem Platz mit Zeitgeschichtlichem zu verknüpfen, unter deren Bedingungen sie stattfanden.

Bliebt zu vermelden, dass das Fußballliteraturfestival „Nachspielzeit“ im nächsten Jahr 2025 seine zweite Ausgabe erleben wird, wie Macher Kees Jaratz jüngst verkündete. Angesichts des Highlights an diesem Abend im Oktober mit Ronald Reng weckt das einiges an Vorfreude.

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Gespräch mit Ronald Reng: „Bohemien im Schatten der Zeche“

Die Mitschrift dieses Telefonats wurde mir freundlicherweise von Michael Wildberg, einem der drei Macher von „Meidericher Vizemeister“, zur Verfügung gestellt und ist bislang nirgendwo anders zu lesen. „Exklusiv“ also hier im Blog.

Ein Gespräch mit Ronald Reng über Heinz Höhers Meidericher Jahre.

In seinem letzten Buch „Spieltage“ erzählt der Autor und Journalist Ronald Reng die 50-jährige Geschichte der Bundesliga aus der Sicht Heinz Höhers, der in der Geburtssaison der Bundesliga zum Kader des MSV Duisburg gehörte und mit den Zebras die Vizemeisterschaft erlangte. Ein Telefonat zwischen Ronald Reng und Michael Wildberg über den Fußball des Meidericher SV in der Saison 1963/64, einen Stadtteil im Schatten der Zeche und den ersten Marketing-Transfer der Bundesligageschichte.

Michael Wildberg: Herr Reng, Ihr Buch „Spieltage“ las ich mitten in den Dreharbeiten zu einer Dokumentation über die Vizemeister des Meidericher SV. Sie haben sich ebenfalls mit der Mannschaft beschäftigt, wenn auch auf vollkommen andere Art und Weise. Diese Truppe verblüfft mich bis heute. Spielerisch changierte sie wohl irgendwo zwischen modernstem Fußball und furchterregendem Abwehrverhalten. Ich bin mir nach allen Recherchen immer noch nicht zu 100% sicher, wie man die Spielweise dieses Teams abschließend beurteilen soll.

Ronald Reng: Wahrscheinlich war es beides. Auf der einen Seite nahm Gutendorf gerne offensive Spieler vom Feld und verstärkte die Abwehr mit weiteren Defensivspezialisten. Das war wohl nicht immer ansehnlich. Es gab damals Pressemeldungen, die von Zuschauern berichten, die während des Spiels an der Theke herumstanden und darüber meckerten, warum sie für diesen Fußball Geld zahlen mussten.

Michael Wildberg: Neben diesem eher simplen Fußball war die Mannschaft aber in anderer Hinsicht ganz nah bei den Philipp Lahms der Gegenwart. Und somit ihrer Zeit ein wenig voraus.

Ronald Reng: Der moderne Aspekt ihrer Spielweise war, dass sie mit Sabath und Heidemann zwei Außenverteidiger hatten, die sich mit in die Offensive einschalteten. Das war für viele Mannschaften neu und stellte sie vor Probleme. Verteidiger am gegnerischen Strafraum gab es damals noch nicht so oft.

Michael Wildberg: Der Kern des Teams bestand aus Spielern, die aus dem Stadtteil Meiderich kamen und sich teilweise von Kindesbeinen an kannten. Das waren ursprünglich Straßenkicker. Für mich ist es ein Wunder, dass eine solche Truppe überhaupt Vizemeister werden konnte. Der Meidericher SV hatte damals ein kleineres Einzugsgebiet als Athletic Bilbao mit dem Baskenland.

Ronald Reng: Athletic Bilbao ist vielleicht ein guter Vergleich. Dort wachsen die baskischen Jugendlichen in einem Internat auf und sind eng an den Verein gebunden. Der nächste Club, der mir dazu einfällt, ist der FC Barcelona der letzten Jahre. Dort wuchs ja auch eine ganze Mannschaft in der Jugend heran, bevor diese Spieler dann als Profis gemeinsam große Erfolge feierten. Wie die Meidericher, die ja alle in Hesselmanns Vereinsheim und seinen Mannschaften groß wurden.

Michael Wildberg: Ihr Protagonist Heinz Höher spielte für uns eigentlich keine Rolle. Auch als wir die Spieler von damals befragten, tauchte er in den Erzählungen selten bis gar nicht auf. Mein erster Gedanke war, dass dieser inner circle der Meidericher der Grund gewesen sein könnte, warum Heinz Höher hier nie so richtig ankam.

Ronald Reng: Für ihn war es ein Scheitern. Er sprach nicht so gerne über die Zeit, viel weniger als über seine anderen Vereine. Es lag aber weniger an den Meiderichern. Die hätten ihn wohl ebenso aufgenommen wie Manfred Manglitz oder Helmut Rahn, die auch von außerhalb kamen. Was aber stimmt: Der Meidericher SV war nicht sein Wunschverein. Ihm ging es eher darum, Bayer Leverkusen zu verlassen. Mit denen hatte er sich wegen seines Gehalts überworfen. Von da an verschickte er seine Bewerbung an einige Vereine, unter anderem an Bayern München.

Michael Wildberg: Höhers Anteil an dem Erfolg des Vizemeisters ist gering. Dabei war er kurz vor seinem Wechsel noch Amateur-Nationalspieler und stand in Sepp Herbergers Notizbuch. Worin begründet er sein sportliches Scheitern beim Meidericher SV?

Ronald Reng: Da kamen mehrere Dinge zusammen. Höher selbst hielt sich damals zwar für einen der Top-30-Spieler in Deutschland, nahm sich dann aber während der Partien immer wieder seine Auszeiten. In Duisburg wurde das nicht gerne gesehen. Obwohl er sich diese Schaffenspausen gönnte, stellte er hohe Ansprüche an sich und hielt sich für besser als viele andere. Als er dann nicht zur ersten Elf gehörte, trainierte er heimlich mit Bleiwesten, um sich wieder heranzuarbeiten. Vor ihm stand aber Helmut Rahn. Das war seine Mauer.

Michael Wildberg: Im Nachhinein ist es fast unvorstellbar, dass ein Weltmeister und Volksheld wie Helmut Rahn in dieser Szenerie aufschlug. Rahn löste einen Fußball-Hype in Meiderich aus. Für Heinz Höher sollte er zum Problem werden.

Ronald Reng: Höher ging nach Duisburg und sah sich selber als Stammspieler. Kurz nach ihm wurde dann aber Rudi Gutendorf als Trainer engagiert. Gutendorf war jung und hatte neue Ideen, so lotste er als eine seiner ersten Amtshandlungen die alternde Legende Helmut Rahn nach Duisburg. Sein Plan war, durch einen solchen Transfer die Zuschauer ins Stadion zu locken. Was hieß, dass er auch spielen musste. Heinz Höher war – wenn man so will – Opfer des ersten Marketing-Transfers der Bundesligageschichte. Dazu war Helmut Rahn jemand, den es auch auf seine alten Tage aufs Feld zog. Die Spieler berichteten davon, wie er selbst bei Freundschaftsspielen immer auflaufen wollte. Er spielte ohne Schienbeinschoner, obwohl er so oft getreten worden war, dass sich mittlerweile Wasser in seinem Knie ansammelte. Nimmt man das alles zusammen, dann konnte Höher an Rahn nicht vorbeikommen.

Michael Wildberg: Sie erzählten, dass Höher aus halbwegs gutem Hause kam. Seine Eltern hatten in Leverkusen ein Bettengeschäft und legten viel Wert darauf als angesehene Bürger zu gelten. Das Meiderich der Vizemeister war dagegen eher proletarisch geprägt.

Ronald Reng: Als ich die Leute nach dem Meiderich der 60er Jahre befragte, sprachen sie oft von dem beißenden Geruch, der in der Luft lag. Der Stadtteil war fast eine Monokultur, das Leben stand im Zeichen der Zeche. Die meisten Spieler arbeiteten dort neben dem Fußball. Auch das war ein Unterschied zu Heinz Höher. Höher war als Student eingeschrieben, ging aber nie in die Vorlesungen und trieb wie ein Bohemien so durchs Leben. Seine Freizeit zwischen den Einheiten verbrachte er in einem Bistro und spielte Karten, abends fuhr er dann immer mit Manfred Manglitz nach Leverkusen zurück. Er selber durfte nicht fahren, den Führerschein hatte er wegen Trunkenheit am Steuer bereits vor seinem Wechsel verloren.

Michael Wildberg: Für Ihr Buch recherchierten Sie auch mitten in meiner Heimat auf dem Trainingsgelände des MSV Duisburg. Um unser Gespräch in der Gegenwart enden zu lassen: Welchen Eindruck hatten Sie, als Sie die Westender besuchten?

Ronald Reng: Mir geht es darum, ein Gefühl für die Orte zu bekommen, die ich beschreibe. Das Trainingsgelände war für mich auffällig, da man dort noch einen Eindruck davon erhalten kann, wie der Ort zu Höhers Zeiten aussah. Es gibt zum Beispiel noch hinten die alten Umkleidekabinen. Und auch wenn das Gelände für die WM 2006 saniert wurde, kann man in dem kleinen Stadion der zweiten Mannschaft erahnen, wie hier vor fünfzig Jahren Manfred Manglitz, Helmut Rahn und Heinz Höher trainierten. Es ist schön, dass man die Geschichte dort noch erfahren kann.

Ronald Reng, Jahrgang 1970, ist einer der renommiertesten Sportjournalisten und Fußballautoren des Landes. Unter anderem arbeitete er für die taz, die SZ und die 11 Freunde. Einer breiten Öffentlichkeit wurde er durch seine Bücher „Der Traumhüter“ und „Robert Enke: Ein allzu kurzes Leben“ bekannt. Neben vielen weiteren Preisen erhielt er für sein letztes Buch „Spieltage: Die andere Geschichte der Bundesliga“ von der Deutschen Akademie für Fußballkultur die Auszeichnung zum „Fußballbuch des Jahres 2013“.

Foto: Privatarchiv Günter Preuß.

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DSM-IV

Ronald Reng formuliert nach dem Ausscheiden Real Madrids in der Champions League und dem 3:3 gegen 10-Mann-Barcelona in der Berliner Zeitung:

„Nun ist Real Madrid nur noch eine Selbstquälgruppe der manischen Depressiven.“

Was am Auftreten Real Madrids manisch sein soll, weiß ich allerdings nicht. Depressiv, ja. Manisch, nein.

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