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Schlagwort: WM-Vergabe

Weiße Elefanten am russischen Horizont

Ganz groß zwischen Kimme und Korn ist ja zur Zeit Katar, wo man 6 Stadien in eine einzige Stadt bauen möchte, in welcher schon zu Länderspielen zwischen der am meisten gehypten Nationalmannschaft des bekannten Teil des Universums, Brasilien, und dessen Testspielgegnern gerade mal schlappe 6.000 Zuschauer erscheinen.

Der große Vorteil Russlands ist wohl, dass im Schatten dieser skandalösen WM-Ausrichter-Auswahl die Entscheidung für Russland beinahe fußballaffin wirkt. Erste Europapokalgewinner aus diesem Land, die nicht Dynamo Kiew heißen, gibt es bereits seit einigen Jahren und der russische Fußball macht den Eindruck, als wachse die Begeisterung und erlange er wie auch in Mitteleuropa immer besseren Zugang zur Mitte der Gesellschaft (nicht dass das per se wünschenswert wäre).

Dass der Hooliganismus in den Regionen, die jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs liegen, genau jene 20 Jahre nachholen möchte, die er unter der Knute stand und sich nicht rühren konnte und deshalb noch in einer (was man so liest) viel dramatischeren Form vorliegt, als er hier je existierte, ändert nichts daran, dass man dort über das Geld verfügt, Stadien zu bauen so schön wie russische Prinzessinnen.

Weshalb man das auch unbedingt tun möchte, ganz gleich, wie sinnlos verprasst diese Gelder sind, die für — man muss sich das immer wieder vergegenwärtigen — eine effektive Nutzungsdauer von 360 Minuten gebaut werden. Also ungefähr 1 Million Euro Baukosten pro Minute Nutzungszeit. Zählt man An- und Abfahrt und derlei Brimborium am Spieltag hinzu, sind es immer noch nur 4 ganze Tage.

4 mickrige, einzelne Gelegenheiten.

Da ist die Frage nach den Schulen, Kindergärten, Teddybären und Schulbüchern doch viel weniger polemisch als sie beim ersten Gong noch klang.

Weil man es (sich leisten) kann, baut man nun also laut dieser Aufstellung bei SPON zur WM 2018 in Russland nicht weniger als 13 der als Ausrichtungsort vorgesehenen 16 Stadien neu. Von welchen 9 wiederum an Orten entstehen sollen, an denen man zur Zeit nur über Zweitligaklubs verfügt. Zwar sind es bis 2018 noch Glückszahl Jahre hin, da kann natürlich der eine oder andere Klub, insbesondere wenn man das möchte, auch noch aufsteigen — nur darauf bauen kann man nicht.

Was aber wäre so schlimm daran, einigen Zweitligisten ein schickes Stadion zu bauen? Immerhin würden diese dann anders als in Korea oder Südafrika überhaupt genutzt. — Ganz einfach: Es mag für die Zweite Bundesliga sinnvoll sein, über solche Riesen zu verfügen. Die Zweite Bundesliga, in der man in Frankfurt in einem WM-Stadion spielt, in Berlin bis vor wenigen Monaten dasselbe tat, und die Ränge trotzdem entsprechend ihres Umfangs gefüllt werden.

Die russische 2. Liga hingegen besuchen im Schnitt 5.243 Zuschauer pro Partie, wobei der bestbesuchte Verein knapp über 14.000 Zuschauern erreicht. Die zwei letzten der Zuschauertabelle schaffen es nicht mal auf durchschnittlich 2.000 Besucher.

Offensichtlich benötigen nicht gerade diese russischen Zweitliga-Städte 9 Stadien mit einer Kapazität von über 40.000 Zuschauern, aber die Frage der Nachnutzung zählt bei diesen Projekten nun mal nicht. Und wenn, dann nur auf dem Papier in einer schöngerechneten (der Gedanke als Sohn des Wunsches) Version im Vorhinein.

Im Einzelnen sind dies folgende für die WM 2018 als Ausrichtungsort eingeplanten Städte Russlands:

  • Kaliningrad mit dem FC Balitka Kaliningrad
  • Jaroslawl mit dem FC Schinnik
  • Nischni Nowgorod mit dem FC Wolga und dem FC Nischni
  • Saransk mit dem FC Mordowia
  • Samara mit dem FC Krylja Sowetow Samara
  • Jekaterinburg mit dem FC Ural Swerdlowsk
  • Wolgograd mit dem SC Rotor Wolgograd, der zur Zeit wegen Finanzproblemen nirgendwo spielt
  • Krasnodar mit dem FC Kuban und dem FC Krasnodar
  • Sotschi mit zur Zeit keinem Verein von Belang

Das alles ist ein eher kleiner Skandal im Skandal-Feuerwerk der wohl korrupten Vergabe beider kommender Weltmeisterschaften, deshalb aber nicht weniger erwähnenswert.

Ähnlich lief es zwar bereits 2002 ab. Damals allerdings aus einer ganz anders aufgestellten Volkswirtschaft heraus. Was man als ordentlicher Blogger jetzt nachprüfen müsste. Wenn man es hier einfach behauptet, hat wenigstens jemand Grund, zu widersprechen.

Dem ansonsten völlig unsinnigen Bau von 9 Stadien mit einer Kapazität von über 40.000 Zuschauern für eine Liga mit einem Zuschauerschnitt von 5.000, in einem Land, das trotz aller wirtschaftlichen Fortschritte beim Pro-Kopf-Einkommen auf Platz 71 der Welt liegt (und bei der Jugendarbeitslosigkeit auf Platz 174), kann ja wohl keiner bei Trost widersprechen.

For the swank, for the pomp.

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Les jeux sont faits

An vielen Stellen sprudeln Wut und Enttäuschung aus dem Hals, als hätte man der Fans Seele verraten. Hat man ja auch: Plastikspiele im Nirgendwo. Wobei das Nirgendwo sogar erst noch gebaut werden muss. Verständlicherweise und mehr als zu Recht sprudelt deshalb die Wut. Eine WM hat in Katar bei der Masse an in Frage kommenden sonstigen Ausrichterkandidaten nichts zu suchen. Auch im Jahr 2306 nicht.

Hier ist man nicht mal mehr wütend, nachdem man eine Nacht drüber geschlafen hat, denn die dunkle Vorahnung ließ sich schon länger nicht mehr gänzlich aus dem vegetativen Nervensystem fernhalten, dass es auf Katar hinauslaufen könnte. Russland und Katar, das waren die beiden Alpträume, insbesondere Letzteres, der liebhabenden Fußballwelt. Jetzt ist der Alptraum Wirklichkeit geworden.

Wie gesagt, keine Wut mehr — oder vielleicht noch keine Wut? Fühlt sich eher wie eine ganz große Enttäuschung an. Und Pädagogen-Geschwätz hin oder her: eine Ent-Täuschung bedeutet eben immer auch, dass man die Täuschung enttarnt hat, womit ihr Wirken vorbei ist. Wütend ist man dann in erster Linie auf sich selbst, dass man so naiv war, der Täuschung zu erliegen.

Hatte man irgendwo noch ein Fünkchen Hoffnung, dass selbst die FIFA nicht die Chuzpe hätte, einen derartigen Alptraum eines Turniers in einem erweiterten Dorf („WMchen in Connecticut gefällig?“ — ja, damals konnte doch keiner glauben, dass das Ganze mehr als ein Marketing-Gag sein sollte!) ohne jeglichen Hauch von Fußballkultur in Auftrag zu geben, dann ist das der Täuschung Erliegen nun vorbei. Die Maske ist endgültig gefallen, und die Fratze, die uns dahinter angrinst, ist wahrlich unheimlich.

Weshalb diese Ur-Katastrophe (für den Fußball) auch ihr Gutes hat: Niemand, auch von den weniger an den Hintergründen im Fußball Interessierten, gibt sich jetzt noch Illusionen hin, dass auch nur ein Jota des fürchterlichen FIFA-Sprechs etwas mit der Realität zu tun haben könnte.

Wir hier wussten das sicher eh schon mehrheitlich, doch wenn man sich die Kommentarfülle in den klassischen (auch ausländischen) Medien zum Thema anschaut, dann wussten es offensichtlich viele nicht. Die es jetzt ebenfalls nicht mehr übersehen können.

Ein guter Tag also für den Fußball. Auch wenn er äußerst bitter schmeckt.

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