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Ein Remis ist kein Remis ist kein Remis

Eines der schönen Dinge am Fußball ist die Tatsache, dass es ein Remis gibt.

In vielen Spielsportarten, in denen sich je zwei Teilnehmer duellieren, ob nun als Mannschaft oder als Einzelner, existiert schon per Spielregeln kein Remis. In vielen weiteren, in denen ein solches möglich wäre, wird es durch endlose Verlängerungen inklusive kleiner, Verzeihung, schneller Tode ebenso ausgeschlossen wie in den erstgenannten.

Kritiker, vermeintliche Freunde ebenso, des Fußballs werfen diesem vor, durch seinen hohen Anteil an Spielen, die Remis enden, etwas von seiner wohl noch schlummernden möglichen weiteren Faszination zu verhindern. Auf dass auch noch der hinterletzte Bewohner dieses Planeten für den Fußball gewonnen werden möge. (Dieser zweite Aspekt ist allerdings ein anderes Fass als jenes, welches hier diskutiert werden soll.)

Dabei ist ein Remis selten wirklich ein Remis. Die eine, stets nötige Ausnahme von dieser Regel, zumindest für das erste folgende Argument stellt lediglich das 0:0 dar.

1.

Allen anderen Remis ist immanent, dass zunächst eine Mannschaft eine Führung erzielt, die andere also bis zu ihrem Ausgleich im Hintertreffen liegt und einer drohende Niederlage entgegensieht, bis diese Mannschaft den Ausgleich erzielt. Was für die erste Mannschaft den Verlust eines errungenen Vorteils bedeutet, während das ausgleichende Team etwas hinzugewinnt. Endet das Spiel nach derartigem Verlauf, wird sich eine Mannschaft freuen und die andere ärgern. Das ist einerseits trivial, wird aber offensichtlich stets übersehen, wenn man beginnt, an der Existenz von Remis im Fußball herumzudoktorn.

2.

Zweitens kommt ins Spiel, dass eine Fußballpartie fast immer — von den wenigen Situationen eines KO-Runden-Spiels abgesehen — innerhalb eines Ligasystems stattfindet. Einem System, in dem andere Teams ebenfalls Spiele verlieren, gewinnen oder unentschieden beenden. So kann ein Remis in einer bestimmten Tabellenkonstellation genau so ausreichend hoch dotiert sein, wie man es gerade benötigt, um sein Ziel zu erreichen. Klappt es dann — das muss nicht zwangsläufig am Ende einer Saison passieren, es sind auch Szenarien wie ein Ultimatum an den Trainer oder überkochen zu drohender Unmut mitgereister Zuschauer nach Niederlagenserien oder Ähnliches denkbar — das benötigte Ziel eines Remis‘ zu erreichen, wird es wie ein Erfolg empfunden werden. Ergo machen sich weder Langeweile noch Unzufriedenheit ob des vermeintlichen Fehlens einer Entscheidung breit.

3.

Drittens treten selten Mannschaften gegeneinander an, die in der perzipierten Spielstärke so gleichwertig empfunden werden, dass man vor der Partie keine Vermutungen bezüglich der Favoritenrolle in diese oder jene Richtung ablesen würde. Je nach Spielstärke des Gegners vermag ein Remis durchaus wie eine Niederlage oder aber bei scheinbar übermächtigem Kontrahenten wie ein Sieg zu wirken. Das wiederum geschieht beinahe unabhängig von der aktuellen Tabellensituation. Nicht gänzlich unabhängig davon, zugegeben, denn diese wird in den meisten Fällen moderieren, wie stark ein Team ganz aktuell eingeschätzt wird.

Nur wer mit den Augen eines reinen Entertainment Erwartenden, mit einem vom Wunsch nach totalem und möglichst finalem Drama beseelten Gemüt oder mit von anderen Sportarten verdorbenen Erwartungen (die dort durchaus passend sein mögen) einem Fußballspiel zuschaut, wird sich mit der Idee eines Remis nicht anfreunden können und gelangweilt zurück zu seinem Tic-Tac-Toe schleichen.

Doch wer würde ernsthaft einen solchen Zuschauer, der die Umstände und Auswirkungen eines Remis nicht erkennt, vermissen?

6 Kommentare

  1. Ich möchte sogar noch eine weitere Situation ergänzen, die selbst für das 0:0 gilt: es kommt zuweilen vor, dass eine Mannschaft der anderen deutlich überlegen ist oder zumindest weitaus mehr Torchancen hat als die andere. Wenn diese Überlegenheit dann aber nicht in einen Sieg mündet, ist das Remis nicht selten eine „gefühlte Niederlage“ bzw. ein „gefühlter Sieg“ für die anderen.

  2. ckwon ckwon

    KO-Modus mit Hin- und Rückspiel:

    Da kann ein Remis im Hinspiel eben sogar dafür sorgen, dass die Spannung fürs Rückspiel sogar wächst. Und je nachdem sogar für beide Mannschaften als positives Ergebnis wirken kann.

    Anderes Szenario: Mannschaft führt, kommt allerdings wegen Platzverweis o.ä. gegen Ende arg in bedrängnis. Dann kann ein Remis doch wie ein gefühlter Sieg sein („Wenigstens noch den einen Punkt gerettet“); Insbesondere da so eine Mannschaft ja oft bei einer Verlängerung dann noch verlieren würde.

    Und für den neutralen Zuschauer:
    Manchmal ist es einfach gerechter, wenn beide einen Punkt bekommen, als dass mit aller Gewalt der eine leer ausgehen muss.

  3. ckwon ckwon

    BTW, ich persönlich ziehe das Wort „Unentschieden“ vor, auch wenn da eigentlich eher eine negative Konnotation mitschwingt, als bei Remis.

    Auf jeden Fall: Pro Remis, Pro Unentschieden!

  4. In einem Teilaspekt neige ich zu einer im Grunde gegesätzlichen These: das 0:0 ist das einzige Unentschieden, das den Namen Remis _nicht_ verdient hat, eben weil nichts (Zählbares) zurückgestellt, zurückgesetzt oder irgendwie anders zurückt wurde.

    (Ohne mich intensiv mit der Ethymologie des Remis auseinandergesetzt zu haben.)

  5. sternburg sternburg

    Grundsätzlich stimme ich Dir mal wieder zu, verehrter Trainer.

    Gleichwohl: Dieser Text beinhaltet nach meinem Verständnis keine Argumentation dafür, dass ein Unentschieden im Fussball etwas besonders schönes sein soll, sondern nur Argumentationen dagegen, dass es etwas negatives sein könnte.

    Gegenüber der anderswo praktizierten Remisvermeidung also wertneutral. Was ja auch eine treffende Einordnung für ein Unentschieden ist.

  6. Sehr schön beobachtet. Ich möchte nur noch einige kleine Dinge hinzufügen. Ein Remis hat ganz grundsätzlich erst Mal etwas sehr ausgeglichenes, befriedendes, da der Gegner, Rivale oder Kontrahent im wahrsten Sinne des Wortes „schlußendlich“ nicht als unterlegen oder überlegen wahrgenommen wird, sondern – im Rahmen des gerade abgeschlossenenen „Spiels“ und nur da – als gleichwertig. Beide Teams stehen am Ende sozusagen auf einer Stufe, besser: Ebene. Ein Remis kann deshalb, weitergedacht, im laufenden Spielbetrieb nie mehr als nur eine Momentaufnahme sein. Es wird nie finalen Charakter haben wie der eine monumentale Sieg oder die bitterste Niederlage des Lebens. Denn sowohl in Turnieren gibt es schlußendlich immer Sieger – und immer Verlierer – als auch am Ende einer langen Saison. Die Tabelle weist es unerbittlich aus. Meister oder Absteiger, keiner weiß es zu Beginn. Ein Remis beinhaltet also immer nur einen vorläufigen Charakter, einen vorübergehenden Zustand. Irgendwann musst du mal gewinnen, um noch oben zu kommen – sonst sackst du unweigerlich ab, wirst überholt, zählst nicht zu den Gewinnern. Und Stagnation bedeutet letztendlich zumindest langfristig Abstieg. Das Remis ist dennoch – Stichwort: „gottseidank noch einen Punkt gerettet“- unverzichtbar als taktische kluges, die verfügbaren Mittel pragmatisch einsetzendes Ziel, um am Ende nicht ganz mit leeren Händen dazustehen. Und das ist doch schon mal was – zumindest bis zum nächsten Spiel. Ohne die Möglichkeit eines Remis, auch das stimmt, wäre Fußball ein gänzlich anderes Match.

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