Zum Inhalt springen

Ein Stück mehr Zivilcourage

„… zur Würde des Menschen“.

Es fällt einem wirklich schwer.

Man ist Anhänger dieser Sportart. Ausüber in erster Linie. Aber auch Anhänger. Hat lange Jahre Beiträge bezahlt. Ist nicht schwul. Könnte aber schwul sein. Hat viele schwule Freunde. Viele schwule Fußballfreunde. Wäre auch egal. Im Gegensatz zu islamischen Staaten wird im westgotischen Fußballreich ohne Unterhose geduscht. Im ostgotischen mit Unterhose. Macht aber auch abgesehen von der Todesstrafe für Schwule in diversen islamischen Staaten jetzt auch nicht soo den großen Unterschied aus.

Man bezahlt also seine Beiträge. Man weiß nicht so genau wofür. Eine Round-Robin-Runde per Liga mit versetztem Heim- und Auswärtsspieltag rechnet mittlerweile jedes billigst (im Sinne von: für nöppes) zu bekommende Plugin selbst aus. Wenn man die Schiedsrichter noch selbst, also, quasi so ein bisschen wie ein Callgirl, direkt bestellt, dann zahlt man nicht mal Provision (dann also doch nicht wie ein Callgirl, da muss man ja zumindest die Agentur bezahlen). Man zahlt die Platzmiete an den Verein, man organisiert sich seine Liga selbst, die Schiedsrichter bekommt man vom Callgirl-Ring der Schiedsrichterbörse, man braucht eigentlich außer einem Idioten, der die Daten pro Spieltag dann noch zusammenruft und die Tabelle ausrechnen lässt, eigentlich keinen übergeordneten Typen mehr, der einem erzählt, dass man nicht in die 4. Liga aufsteigen dürfe, weil man keine Tribüne für 20.000 Zuschauer habe, die aber alle nicht kommen, weil zur selben Zeit von dem Verband, der einem erzählen will, dass für die 4. Liga unbedingt 80 Presseparkplätze und mindestens Champagner in der Presse-Lounge nötig seien, ein Spiel in der Profiliga anberaumt wurde, womit nun mal ganz grundsätzlich sicher gestellt wurde, dass nun mal einfach keiner kommt. Und somit auch die, selbst wenn sie denn kämen, was sie natürlich nicht tun, weil sie ja zu Hause vorm Fernseher sitzen, die Tribüne für 20.000 total überdimensioniert ist.

Die Sportplätze werden übrigens von den Städten (nicht zu verwechseln mit den -stätten) bezahlt, von den Gemeinden, von den Kreisen, nicht aber von dem Verband, der dann Kohle dafür verlangt, dass man dazu gehört, für nichts, für gar nichts, dafür, dass man von ihm noch verhurt wird.

Und dann, plötzlich, fällt dieses gesamte Konstrukt innerhalb von weniger als 5 Wochen in sich zusammen als ein Kartenhaus von insbesondere in den oberen Kreisen sich selbst regenerierenden Gefällen, Entschuldigung, ich meinte, Gefälligkeiten? Wenige Sekunden nach dem Aufkommen (also Sekunden jetzt gemessen in der Existenz der Menschheit, vergleichsweise) ist der DFB schon wieder Geschichte? Hat sich entpuppt als etwas, was nicht dazu in der Lage ist, sich innerlich zu reinigen, der Kopf stinkt vom Fisch her, möchte man meinen.

Allerdings würde man gerne wissen, welcher von den vielen Darstellern nun der Fisch, der Kopf, welcher der Faustus und welcher die Gretel ist.

Aber um genau zu sein, möchte man es eigentlich gar nicht wissen. Eine schöne Abschiedsrede hat der Kopf des Barons sich ja schon selbst gehalten, beim Tod von Robert Enke: „Wenn Ihr bereit seid, das Kartell der Tabuisierer und Verschweiger zu brechen.“

Yeah, vor allem die Plätze des Amateurfußballs, die mussten jetzt natürlich noch mal sein. „Ein Stück mehr Menschlichkeit“. Was damit gemeint ist, ist: „Ein Stück mehr Verständnis dafür, dass wir unsere Seele ans Pay-TV verkaufen mussten, Jungs, das muss Euch doch auch klar sein. Wir, die wir hier Euren Fußball fürn Appel und n Ei und vor allem ohne Bewusstsein für unseren, Euren Sport verkaufen.“

Ein Stück mehr Menschlichkeit halt.

Weil wir den Fußball gerade verkaufen und uns eigentlich auch scheißegal ist, was ihr Vollidiotenfans, die ihr nicht mal mehr zum Amateurfußball geht, aber zu den Profispielen kommt, denkt.

Ein Stück mehr Menschlichkeit.

Also ungefähr so viel Menschlichkeit wie es bedeutet, Amerell den Wölfen zu überantworten:

„Wenn Ihr bereit seid, das Kartell der Tabuisierer und Verschweiger zu brechen.“

15 Kommentare

  1. Wenn Du ein Verein wärst, Trainer, hättest Du seit 27 Spielen nicht verloren und würdest bereits als Meister feststehen. Chapeau!

  2. Ach ja, der Zwanziger, schön reden kann er ja (man stelle sich MV an gleicher Stelle vor). Aber seine Taten sind doch von einer ganz anderen Welt als seine Worte – Löw, Wettskandal, Amerell, der Regionalliga-Wahnsinn (Trainer, du übertreibst maßlos, 10.000 Plätze sind völlig ausreichend für Spiele z.B. vom Goslarer SC, der deshalb nach Braunschweig ausweichen muss und desöfteren schon mehr als 200 Zuschauer begrüßt hat). Habe ich noch etwas vergessen?

    Aber die Welt ist in der Regel immer noch ein bisschen schlechter, als der gesunde Pessimist eh schon immer geahnt hat.

  3. Worredau Worredau

    Vieler Leute Zorn in Worte gefasst.
    Ein System, das sich mitsamt doppelter Moral selbst am Leben erhält, ohne dass es die Liebhaber des Sports noch braucht.
    Diese Fußball-Blase wird wohl irgendwann den gleichen Weg wie die des Immobilienmarktes gehen. Ich möchte nicht daran denken, wer die Folgen letztendlich zu tragen haben wird.

  4. DeTom DeTom

    Danke für diesen (und eigentlich auch alle anderen) Artikel, die ich vom Trainer lesen durfte.

  5. Bonner Bonner

    Ab damit in den Sportteil einer „guten Tageszeitung“
    Thanks for the truth

  6. Manfred Manfred

    Du sollst keine anderen Götter neben mir haben, sprach Bigott und kicherte leise.
    Und das alles in Zeiten der Deflation, tztz. Früher gab es noch den falschen Fünfziger, heute hingegen – naja.
    Präsidenten mit schrägem Vor- oder merkwürdigem Doppelnachnamen gab es, Schiedsrichter, die vor dem Spiel einen draufmachten, Spieler, die ihre hervorragenden Leistungen in 2 oder 3 Ligajahren -egal, ob Ober- oder Bundesliga- dauernd haben bestätigen müssen, bevor sie auch nur das Wort ‚Nationalspieler‘ aussprechen durften, es gab Typen mit Ecken, Kanten, Herz und Hirn und man munkelt sogar von Fairness, elf Freunden und Vereinstreue und daß sich letztere nicht darin äußerte, woanders schmählich zu scheitern, um wie ein geprügelter Prinz – ach, ich hör besser auf, sonst wird das noch länger als des Trainers Blogeintrag.
    Ich wollte doch nur wissen: Ist Bigott eigentlich ein Gott für Heteros und Schwule?

  7. Nicht zu vergessen, wenn auch sicherlich in diesem Kontext nur eine Marginalie: die lustige „Keine Macht den Drogen“-Kampagne eines Vereins, der sich seit Jahrzehnten gerne und teuer von diversen Bölkstoff-Fabrikanten hauptsponsern lässt.
    Zu deinem herausragenden Beitrag fällt mir eigentlich nur noch eins ein: Amen. Wobei der gewiefte Sprachwissenschaftler natürlich weiß, was dieses Wort unabhängig von klerikaler Vereinnahmung bedeutet: „So sei es“ bzw. „So möge es geschehen“. Oder wie der legendäre Collina-Verschnitt Yul Brynner einst in den „Zehn Geboten“ so trefflich synchronisiert formulierte: „So steht es geschrieben – so soll es geschehen.“ Danke!

  8. Arno Arno

    Was mich bei der ganzen Geschichte zunehmend interessiert, könnte es nicht sein, dass 20er von Anfang an Kempter loswerden wollte (und Amarell nur nebenbei mit „entsorgt“)?

    Laut Amarells Anwalt wusste der DFB schon lange auch von den Beweisen, die sie jetzt präsentieren. Es geht gerade nur gegen die Glaubwürdigkeit von Kempter (der DFB hat seine längst verloren) und die scheint nicht mehr gegeben.

  9. Jomo Jomo

    Sehr hübscher Beitrag.

    Aber da grinst die Funktionärs- und Vereinselite natürlich nur bis über beide Schlitzohren. (Gäbe es DFB-Hall-of-Shame-Ohrringe könnte man da gleich an eine begrifflich ursprüngliche Tradition anknüpfen.) Apropos Tradition. Im naturgemäß korruptosport schäbigen Nordamerika haben Spielergewerkschaften eine ebensolche. Nachdem lesen kam mir dazu folgender Gedanke: Ich habe mich immer gefragt, warum es in Deutschland; generell in Europa keine (kaum) Spieler-, Trainer- u. Schiedsrichtergewerkschaften gibt? Und die Antwort findet sich so mir nichts dir nichts hier! Das machen also die Verbände (gut, bei Franz war’s der Strauss!) gleich mit, und da ist dann auch für „fast“ jeden gesorgt und darüber hinaus für ebenfalls „fast“ jeden Fussball- und Sportjournalisten. Dieses Fleischtopf-Prinzip ist übrigens auch vom offentlich-rechtlichen Qualitätsfernsehen her bestens bekannt. Der sogenannte „D.Heinze-Effekt“.

  10. DeTom DeTom

    @Jomo: „D.Heinze-Effekt“… Sehr schön!

  11. Mir wird x Tage später erstmal bewusst, wie wenig ich erkannt habe. Wie peinlich von mir.

    Heute geschrieben wäre der Beitrag sicher noch mal anders ausgefallen.

  12. Trainer, das hab ich heute früh auch gedacht. Dass da aus heutiger Sicht noch einiges mehr drin stecken würde.

  13. asinus asinus

    Der Artikel ist wirklich sehr gut.

  14. […] kann man dem mittlerweile in die FIFA-Exekutive aufgerückten DFB-Präsidenten angesichts dessen wunderbarem, empathischem Geschwafel bei Robert Enkes Trauerfeier, dem offensichtlich in viel zu begrenztem Umfang Handlungen folgen, dazu gratulieren, dass er […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert