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Interpretationen von Romantik

Der brasilianische Bundesligaspieler Dedé sagt im Interview mit Rund/Kicker/11Freunde/Spiegel/Zeit [1] Folgendes:

„Als ich ein Kind war, hatte unser Haus vielleicht 30 Quadratmeter. Da gab es zwei Betten, in denen acht Leute schlafen mussten. Aber trotzdem war immer ein tiefes Gefühl der Liebe da. Wir haben das Positive gefunden. Wenn es geregnet hat, musste man immer vorsichtig sein. Die Decke war kaputt, da kam der Regen rein, aber wir haben sehr fest zusammengehalten. Das ist meine richtige Familie, diese acht Leute.“

Das ist sicher toll, dass diese Familie einen großen Zusammenhalt hatte, auch wenn er möglicherweise nötig war, um überhaupt über die Runden zu kommen. Nicht so toll sind aber die Bedingungen, unter denen Dedés Familie leben musste. Und noch weniger toll ist die Antwort des Journalisten auf Dedés obige Äußerung:

„Das klingt fast ein bisschen romantisch.“

Missverstehe ich da etwas oder hat dieser Journalist einfach kein Gefühl dafür, wovon Dedé ihm gerade erzählt? Man muss schon ein besonderer Ignorant sein, um ein „Haus“ in den Favelas mit kaputter Decke und zwei Betten für acht Personen „romantisch“ zu finden. Und wie romantisch es erst gewesen sein muss, dass Dedé schon als Kind für den Unterhalt der Familie arbeiten musste und sie trotzdem nicht das nötige Geld hatten, um das Dach reparieren zu lassen.

[1] Man kann mittlerweile nicht mehr unterscheiden, von wem für wen ein Interview eigentlich gemacht worden ist. Ein Grund, wieso es sich auch nicht lohnt, RUND oder anderes als Printausgabe zu erwerben. Wenn man Spiegel Online und Artverwandtes regelmäßig verfolgt, hat man ohnehin schon alle lesenswerte Inhalte der Printausgabe gesehen.

Ein Kommentar

  1. Sehr anonymer Stadtdschungelsoziologe Sehr anonymer Stadtdschungelsoziologe

    Ohne Frage so ein klassisches interkulturelles Mißverständnis zwischen Schwellenland- und Industriestaatsbewohner.

    Trotzdem kann ich mir eigentlich ganz gut vorstellen, wie man darauf kommt, es romantisch zu finden, wenn einem ein Brasilianer (ein Brasilianer auch noch, allein das ist doch schon romantisch *schmunzel*) aus der allerärmsten Schicht in buntesten Farben seine erbärmlichen Kindheits-Lebensbedingungen ausmalt, wo man selber so ganz andere Bilder hat von den Spielzeugtürmen seiner wohlbehüteten Generation-golf-Kindheit, einen vielleicht dann noch anlächelt und ganz schlicht dazu fügt:

    „Aber trotzdem war immer ein tiefes Gefühl der Liebe da.“

    Und dann guckt man sich als Gross- oder gar Hauptstadtbewohner mal um, wo man jetzt lebt: Wie viele Singles und mindestens einmal Geschiedene man kennt, die hier so relativ autonom und entwurzelt unter dem Deckmantel der Coolness workaholicmässig vor sich hinwursteln, sich abends dann mit Koks oder Alkohol zuschütten damit sie die Leere nicht spüren müssen und im Grunde genommen genau nach dem auf der Suche sind von dem dieser Brasilianer da erzählt und gar nicht mehr wissen, wie sie da hinkommen.

    Wer Glück hat, hat das in seiner Kindheit zumindest mal erlebt, aber viele kennen das auch gar nicht wie ich immer wieder erschrocken feststellen muss wenn ich mich mal wieder ins Frei(wild)gehege irgend einer Hinterhofparty begebe und mich da ein bisschen unterhalte…

    Vielleicht erklärt das diesen zugegebenermassen beschränkten Kommentar von diesem Journalisten, der vielleicht auch so wo lebt und womöglich noch nie in den Favelas in Brasilien war und dessen Vorstellungskraft da einfach nicht hinreicht?

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