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Schlagwort: Confed-Cup

Alemanha — Brasil 3:2

1993 aß ich ein Brot mit Marmelade und machte es mir auf dem Sofa von Martin bequem. Lars war auch da, und Thorsten. Es war kalt draußen, das machte aber nichts, denn Martin hatte ja diesen neuen Fernseher, mit schnellaufheizenden Röhren. Draußen war Herbst, in Müngersdorf sicher auch, das erinnere ich nicht mehr so genau. Andi Möller traf zum 2:1-Siegtreffer noch vor der Halbzeit, und Berti Vogts trat am Ende zufrieden und chalant, wie es stets seine Art gewesen war, vor die Presse, um sich frei von Verschwörungstheorien darüber zu äußern, dass man 1994 sicher gute Chancen haben würde, den nur vermeintlich von des Dummschwätzers Gnaden errungenen Weltmeister-Titel zu verteidigen. Niemand sang Seven Nation Army, die wenigsten im Publikum waren außergewöhnlich geil oder auch schwarz-golden. Es gab keine bewegten Banden und die Nationaltrikots des DFB waren damals schick, heute aber schon Sammlerstücke, die ob des Designs nur die Tapferen unter den Sammlern überhaupt würden bestellen wollen. Im Tor stand Bianca Illgner, für Brasilien spielte noch der überaus fiese Branco. Der sich gut als Hauptgegner in einem Superheldencomic geeignet hätte. Man musste damals noch in Comics denken. Youtube war so fern wie zeitlich selbst zu bestimmen, wann man welches TV-Programm sehen wollen würde.

Alle drei habe ich seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen. Alle drei damaligen Freunde. Die Nationalmannschaft hingegen schon, meist mindestens einmal pro Monat, abgesehen von zwei Unfällen im Wach-Schlafrhythmus (und das eine Mal wegen Max Goldt) eigentlich jedes Mal, wenn sie vor den Ball trat. Manchmal, um 1998 herum besonders, schien sich die eigentlich nach vorne gedachte Entwicklung der Mannschaft und des deutschen Spiels umzukehren und in die Vergangenheit lünkern zu wollen. Mit ein bisschen Glück hätte uns 1993 also schon der Sir aus dem Fernseher heraus die Hand geben wollen. Dazu kam es nicht. Stattdessen nutzte Oliver Kahn seine Hand, um ein Eigentor zu erzielen. Später wurden Hoffnungen durchs Dorf getrieben, die dann in der WM-2006-B-Mannschaft endeten. Märchen wurden erzählt, und im Vergleich zu früher waren es tatsächlich schöne Geschichten. Nur gegen Brasilien gewann man nicht mehr. Weder in Japan noch in Nürnberg, im Vorspiel zum Heimturnier. Projektionsflächen hießen Robert Huth und Mike Hanke, es tat sich was, aber mehr als das Knirschen im Gebälk war erstmal noch nicht zu hören.

Heute war es das erste Mal seit 1993 wieder soweit. Den Führerschein, damals noch recht frisch, besitze ich heute immer noch. Die Pass-Geschwindigkeit von heute allerdings konnte damals niemand erahnen. Auch dass man mit 26 im Team zu den Alten gehören würde, war 1993 nicht absehbar, als der Altersschnitt des Teams immer mal wieder vorsichtig sein musste, nicht die Zahl 30 zu überschreiten. Was bewährt war, war gut. Heute war gut, was sich durchsetzte, nicht allein gegen die eigene Konkurrenz, sondern vor allem gegen den Gegner. Während man damals aber über Abwehrprobleme jahrzehntelang nicht hatte diskutieren müssen, scheint heute alles so mühelos — bis es in die eigene Richtung geht. Dann zerfällt beinah sogar dieser Sieg, der erste seit 1993, Sekunden bevor man ihn in den Händen hält, wieder zu Staub und am Ende wäre es doch ganz egal. So schnell, so jung, so intelligent konnte es nur die Evolution seit 1993 machen. Der man gerne unter die Arme griff, auch wenn man da lange Zeit allzu betriebsblind war. Da schmälert es auch wenig, dass dieses Brasilien kaum in Schwung war und 2014, wenn es wieder mal 1994 sein wird, nur wenig mit dem heutigen gemein haben wird. Geboren wurde Mario Götze 1992. Als das 2:1 von Andi Möller fiel, wird er wohl gerade einen Löffel Spinat bekommen haben.

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Homophonie kann eine Plage sein

Keine Witze mit Namen. Seine Kindheit wird schwer genug gewesen sein. Der arme Shane aus Neuseeland. Ganz so schlimm war es dann aber wohl doch nicht, denn sonst hätte er es nicht bis zum, naja, sagen wir Leistungssport gebracht.

Hoffnung gibt es auch für andere Kinder wieder, die glaubten, ihre Fußballkarriere würden an ihren mangelnden Fähigkeiten scheitern. Vielleicht hat Ur-Oma ja mal mit einem Neuseeländer geschäkert. Schnell aus- bzw. einbürgern lassen, und schon kann man das eine oder andere Länderspiel abstauben. Auf die Fähigkeiten kommt es da nicht ganz so an. Hauptsache, man kennt die Regeln und ist ein bisschen fit. Das reicht dann meist.

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Mit Jürgen ist nicht gut Kirschen essen — mit Olli schon

Dass Jürgen wahrlich kein schlapper Urlauber ist oder gar ein netter Herr, den ja noch nicht mal der Rudi 24h am Tag schafft, wissen wir alle, spätestens seit dem Film „Deutschland — ein Sommermärchen“. Dass wir das aber auch gewusst hätten, wenn es den Film nicht gegeben hätte, erzählt uns diese Anekdote vom Training vor dem Länderspiel in Nordirland.

„Kurz vorm Confed-Cup gab es ein Länderspiel in Belfast gegen Nordirland, und da lag so ein Ball. Und wenn da so ein Ball liegt, da fällt es mir schwer, den einfach so liegen zu lassen. Und dann habe ich ein bisschen mit Oliver Bierhoff hin und her gekickt und dann abends erfahren, dass Jürgen das gar nicht gut fand.“

wird Sönke Wortmann zitiert und man muss doch sehr bitten. Es geht nicht an, dass einfach ein dahergelaufener Filmfuzzi die auf WM-Mission befindlichen Kicker beim Training vor einem Testspiel stört, indem er mit demselben ständigen Plöp-plöp nervt, das man neben einem Tennisplatz stehend hört. Da kann sich wahrlich kein Mensch konzentrieren und fast hätte unser Sönke Wortmann durch diese Gedankenlosigkeit noch das ganze Projekt gefährdet. Seinen Film meine ich jetzt, nicht das Projekt „WM-Titel“. Aber da haben wir noch mal Glück gehabt. Abends hatte Klinsmann sich schon wieder abgeregt und Sönke die Nachricht zukommen lassen, dass er in keinster Weise daran gedacht habe, das Filmprojekt abzusagen. Nur beim nächsten Mal solle er, Sönke, doch bitte Jürgen auch mitspielen lassen.

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Wenn der Dummschwätzer Hubschrauber fliegt (XI)

Der Dummschwätzer will bei 48 von 64 WM-Spielen live dabei sein. Wir haben es beim Confed-Cup schon erlebt, wie das geht: mit einem Hubschrauber. Der Dummschwätzer lässt sich mal eben so von Hannover nach Leipzig nach Köln fliegen, nur um überall seine Visage in die Kameras zu halten.

Mir wäre lieber, er würde sich auf die Spiele beschränken, die er ohnehin schon kommentiert. Irgendwann muss auch mal gut sein mit dieser vermeintlichen light form des deutschen Fußballs. Spätestens nach der WM. Oder eben wenn der Hubschrauber abstürzt.

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„Wir müssen reden“

Wer hat sie noch nicht gehört, die berühmten Worte der Partnerin/des Partners. „Wir müssen reden.“ Dabei sagt dieser Satz doch das genaue Gegenteil dessen, was die Worte vermitteln sollen. Wir müssen eben nicht mehr reden. Doch, ok, das eine Mal noch. Das eine letzte Mal. Aber eigentlich ist auch das schon überflüssig. Wer den Satz „Wir müssen reden.“ vernimmt, dessen Urteil ist schon längst gefällt. Es wird ihm mehr oder weniger schonend verkündet, um in Revision zu gehen, ist es aber schon längst zu spät.

Schlimmer noch ist, dass meist das soziale Umfeld eher über das Urteil informiert ist als der Verurteilte selbst. Das geschieht selten aus böser Absicht, sondern dient dazu, sich zu vergewissern, dass der Scheidende in seinem Urteil richtig liegt, dass auch das soziale Umfeld diese Entscheidung begrüßt oder zumindest mitträgt und für richtig hält. Der Verurteilte wird also auch noch doppelt gedemütigt: einmal durch das Urteil, zum anderen dadurch, dass er später mitkriegt, dass alle schon wussten, was passieren wird außer ihm — der, um den es doch eigentlich in diesem Urteil geht.

Und während ich hier mal wieder in den Diskurs mit mir verfalle, dräut dem einen oder anderen Leser womöglich bereits, um wen es hier eigentlich geht: Christian Wörns.

Ich muss zugeben, vor einigen Tagen noch fand ich sein Gejammer nur peinlich, hab mich ein wenig innerlich aufgeregt über seine Wehleidigkeit und dachte, dass er wirklich überreagiert. Inzwischen hat sich das gewandelt und er tut mir leid. Ich meine kein spöttisches Mitleid, welches man eigentlich oft meint, wenn man sagt, dass einem jemand leid tut. Ich meine echte Empathie, ich leide ein wenig mit ihm.

Jetzt las ich, dass er für gestern Abend mit Jürgen Klinsmann in Düsseldorf verabredet war. Und ich kann mir genau vorstellen, wie er sich gefühlt hat, als er den Termin dafür ausgemacht hat, alle Vorbereitungen getroffen hat, andere Termine verlegt hat, extra seine Frau (die ihn begleiten wollte) vorher noch mal zum Friseur geschickt hat. Ich kann mir vorstellen, wie in seinem Herzen, na, sagen wir in seinem Hirn noch einmal diese Flamme aufloderte, der Wunsch, doch bitte, bitte bei der WM dabei zu sein und dass die Verschmähung durch den Angebeteten doch nicht wahr sein kann.

Ein Fünkchen Hoffnung blitzte ein letztes Mal auf. Doch tief in seinem Inneren wusste er natürlich, dass das Urteil schon gefällt war. Er hätte sich allerdings noch einmal zum Idioten gemacht, noch einmal versucht, die Bald-Ex umzustimmen, wo nichts mehr umzustimmen ist.

Hatte sich womöglich gute Argumente für den Abend zurechtgelegt, alle eventuellen Reaktionen des Gegenübers schon im Vorhinein durchgedacht und auch eine jeweils passende Reaktion vorbereitet, wäre sich auch nicht zu schade gewesen, Fehler einzugestehen, gar um Verzeihung zu bitten und Besserung zu geloben, all diese Fehler, die zur Trennung geführt haben, nicht wieder zu begehen.

Vielleicht hatte er sich gar ausgemalt, wie er dann am Dienstag plötzlich doch noch in den Kader berufen wird, wie er sich das weiße Trikot am nächsten Mittwoch hätte überstreifen dürfen. So, wie man es sich in seinen Träumen wünscht, wenn man zwar weiß, dass es vorbei ist, es sich aber nicht eingestehen kann, obwohl man es doch so genau spürt.

Als er mit Klinsmann dann vor dem Termin per Telefon über das anstehende Treffen sprach, servierte der ihn eiskalt ab, wie jemand, der mit dem Aussprechen, dass es vorbei ist, schon mit der Sache abgeschlossen hat. Natürlich ist Klinsmann dabei so kalt und trotzdem höflich, wie jeder Ex es ist: Er würde sich auf das Gespräch mit Wörns freuen, aber an seiner Entscheidung würde es nichts ändern.

Da brach innerlich eine Welt für Wörns zusammen. Er hatte diese letzte Hoffnung, das Gespräch, zu dem er all seine Reserven und all seinen Mut zusammengekratzt hatte, würde noch mal etwas ändern können. Puff. Erloschen, die Hoffnung. Am Telefon wird er noch recht gefasst gewesen sein, sein Gehirn hat aber noch so weit funktioniert, dass er das Treffen daraufhin, nach der Kenntnisnahme der absoluten Chancenlosigkeit seines Anliegens, abgesagt hat.

Erst kommt der Schock, man spürt nix.

Je nach Schwere der Nachricht dauert es zwischen vielleicht zwei Minuten oder ein paar Monaten, bis der Schock nachlässt. Nein, kein physischer Schock, aber ein emotionaler, möglicherweise auch eine leichte Traumatisierung.

Klinsmann hatte also aufgelegt, Wörns hielt das Handy noch in der Hand. Seine Frau wird neben ihm im Auto gesessen habe, er hatte sie gerade vom Friseur abgeholt. Sie musste nichts fragen, seine Reaktion, sein Gesichtsausdruck wird alles verraten haben.

Von außen sieht man immer klarer, natürlich wissen wir alle, dass Wörns keine Chance mehr hatte. Das bedeutet aber nicht, dass er selbst das auch wusste. Oder glauben wollte. Er wird jetzt diese Leere haben. Kann die Nummer von Klinsmann aus seinem Handy löschen. Kann die Nummer des DFB aus seinem Handy löschen. Kann nach Hause fahren und die alten Fotos von der WM 1998 anschauen, vom Confed-Cup 1999, kann sich die Bilder anschauen, die ihn noch mit Jürgen gemeinsam in einer Mannschaft zeigen.

Er kann sie verbrennen, er kann sie zerreißen, aber er wird das Gefühl der Leere nicht los, das alsbald der Enttäuschung weichen wird. Darauf folgt die Wut.

Und nach 13 Jahren Beziehung mit der Nationalmannschaft so abserviert zu werden — es ist vielleicht das Beste, was ihm passieren konnte. So wird er genug Wut ansammeln können, auf dass er nicht in der Schockstarre verharrt.

13 Jahre nach einem kurzen Telefonat zu Ende.

Ich möchte gestern Abend nicht im Hause Wörns gewohnt haben müssen und ich möchte auch nicht mit Christian Wörns tauschen. Wie gesagt: Mitgefühl, nicht spöttelndes Mitleid.

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