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Schlagwort: Ultras

Mein lieber Herr

Die Ultrabewegung übt auf junge Menschen eine Faszination aus, die man nicht erklären kann. Sie entsteht aus der Ermangelung von katholischer Jugend, von Pfadfindern, Gesangvereinen, aktiven Sportvereinen, in Ermangelung der Vereinskultur der sechziger, siebziger Jahre, der beruflichen, emotionalen und familiären Bindungen. Da geraten viele Beobachter in die Spur der Ratlosigkeit.

Moment, Heribert Bruchhagen, die Ultras sind ein Gesangsverein. Singen und klatschen.

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Österrichs – Gary Linekers Freunde 1:2

„… und schon gar nicht von Österreich!“ — hatte zwar niemand gesagt, erst Recht nicht wie einst durch die Kabine gebrüllt. Offensichtlich dachte aber die Mehrzahl der deutschen Spieler so. Als ob gegen Österreich ohnehin nichts anbrennen könne.

Anders wäre nicht zu erklären, warum die deutsche Mannschaft dann doch wieder ein Phänomen von den Toten auferstehen lassen musste, welches man schon lange beerdigt glaubte. Und welches nebenbei erwähnt ebenso lange dafür verantwortlich war, wieso man im europäischen Fußball den Deutschen jeden erdenklichen Misserfolg gönnte. Nach langer Zeit musste mal wieder ein „tyskmål“ her, wie die Norweger ein Tor nennen, das nach 90 Minuten einen unverdienten Sieg beschert, weil man plötzlich wie aus dem Nichts ein Tor erzielt. Und nichts, das war es, was die deutsche Mannschaft insbesondere in der zweiten Halbzeit aufs Feld zu werfen hatte.

Sie konnten einem dann fast schon leid tun, die Österreicher, wie sie Angriff um Angriff aufs deutsche Tor rollen ließen, und man dennoch ahnte, dass heute einer dieser Tage sein würde, die man früher noch jedes Mal benötigt hatte, als die Achse Jeremies-Nowotny sich von unverdientem Sieg zum unverdientem Sieg rumpelte und die eigenen Tore einem gewissen sehr jungen Miroslav Klose zu verdanken hatte.

Begeistert hatten sie in ihrem EM-Final-Stadion, von diesem Trauma sprach übrigens komischerweise niemand, alle Augen auf Gomez‘ Geschichte, die Fahnen geschwenkt, rot-weiß-rot, wie man es heute gar nicht mehr anders kennt. Die Fahnenindustrie muss den Ultras sehr dankbar sein, dass man heutzutage schon zu jedem Popels-Qualifikationsspiel Fahnen in 50.000-facher Ausführung bestellt, nur um zwei Minuten damit rumzuwedeln und sie dann in den Orkus zu werfen. Nachhaltig ist das nicht gerade.

Wie auch das Strohfeuer der österreichischen Angriffsbemühungen wenig nachhaltig war. Sie pusteten und pusteten, doch das deutsche Haus war aus Stein gebaut und am Ende kam Schweinchen Schlau in Person von Mario Gomez und zeigte den österreichischen Teilzweitwölfen die lange Nase. 2:1, alle Flüche und Traumata ausradiert, so gut wie für Polen qualifiziert und die Österreicher noch dazu aus dem Rennen geschossen. Einen Verlierer aus deutscher Sicht gab’s allerdings doch noch: Werder Bremen. Muss tatenlos zusehen, wie nach Carlos Alberto der nächste vermeintliche Topeinkauf alles daran setzt, seinen Marktwert zu vernichten.

Ein Wort zu Mehmet Scholl, das böse klingt und gar nicht so gemeint ist. Mehmet Scholl ist der Mario Barth der Fußballexperten: Alle finden ihn lustig, aber er ist es gar nicht. Man darf nicht übersehen, dass Scholl vor allem deshalb so positiv heraussticht, weil die übrigen Experten und solche, die es vorgeben zu sein, noch viel, viel schlimmer sind. Leider gilt auch für Scholl, das, was man den anderen unterstellt: Auf korrekt sitzende Pointen wartet man vergeblich. Einzig, dass Scholl meist recht lässig — für einen älteren Herrn — gekleidet ist und er flapsig, viel zu flapsig für einen älteren Herrn, formuliert, macht ihn ein wenig erträglicher als die übrigen.

Bliebe noch Arne Friedrich zu erwähnen: Wo Arne Friedrich ist, ist unten. Sein Tor gegen Argentinien bei der WM war offensichtlich das berühmte Korn, das ein Huhn auch mal findet. Davor führte er Hertha BSC in die 2. Liga und ist mit Wolfsburg am selben Ziel wohl nur gescheitert, weil er die komplette Hinrunde lang verletzt war. Nun also das zweite Eigentor in der Nationalmannschaft. Sicher erinnert sich jeder an sein erstes, das er gegen eine ähnliche Fußballmacht wie Österreich erzielte. Kein Wunder, dass Reinhold Beckmann sich da dessen Namen partout nicht merken möchte und ihn beharrlich ein knappes Dutzend Mal Arne Friedrichs nennt.

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… und immer diese Fangesänge

40 Jahre lang in einer Band E-Gitarre spielen und dabei 80 Jahre lang während der Proben ohne Hörschutz vor dem Verstärker stehen, 120 Jahre lang in einer Großstadt leben, 160 Jahre lang nicht nur gesund leben und 200 Jahre lang im Stadion den Ultras zuhören haben bei mir zu folgendem Ergebnis beim Online Hörtest bei „Kind“ geführt:


[photopress:kind_online_hoertest.jpg,full,centered]

Und Ihr so?

(Nein, weder viral noch überhaupt Werbung.)

Diese Ultras! Das Gehör schädigen sie offensichtlich dann doch nicht — nur das Gehirn, mit ihren elendigen, fiesen Ohrwürmern, gegen die die moderne Medizin anders als bei Hörschäden noch kein Mittel kennt. Ist man mal wieder im Stadion gewesen, bekommt man diese Melodien tagelang nicht aus dem Ohr. Äh, aus dem Hirn.

Hört Ihr mich?

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Ultras, go home! (Reclaim the game)

Ein wenig spät, dieser Beitrag, ein ganz klein wenig populistisch auch. Ein ganz klein wenig auch davon eingefärbt, dass man hier als Fußballzuschauer im Stadion gerne das Spiel erleben, erfahren und leben möchte, und die x Euronen nicht dafür abgedrückt hat, von sich selbst feiernden Dauergesängen beschallt zu werden, denn sonst wäre man zum Männerchor-Konzert gegangen.

Aber:

Wer ernsthaft glaubt, „der Verein“ zu sein, nur weil er a) manisch zu allen Spielen hinfährt, die dieser Verein irgendwo hat (übrigens beschränkt sich dieses Phänomen nicht auf Fußball allein, es gibt auch durchaus nicht wenige „Fans“, welche einer Band zu allen ihren Konzerten hinterherreisen, so weit das finanziell und von der Entfernung her machbar ist, allerdings schreiben diese Band-Fans den Bands selten vor, wie viele Autogramme sie zu geben haben und welche Songs im jeweiligen Set gespielt werden sollen) und b) ohne jegliches Gespür 90 Minuten lang die gleichen Gesänge singt, gänzlich unabhängig vom Spielstand; wer ernsthaft glaubt, aus diesem seinen befremdlichen Verhalten, welches in der Organisation der Hierarchie der übrigen Teilnehmenden noch dazu äußerst konservativ-militärisch strukturiert zu sein scheint, einen Anspruch auf einen Einfluss innerhalb eines Vereins ableiten zu können, der ist kein „Fan“, der ist kein „Ultra“ oder „Hooltra“ (tolle Wortschöpfung von the one and only Gunter Pilz), der ist vor allem eins:

bescheuert.

Man könnte auch sagen: weltfremd. Vielleicht ist er auch einfach nur jung und ist da zufällig so reingewachsen. Aber ach, der Welt ist er ja gar nicht so fremd. Denn: In den Stadien hat er sich tatsächlich zu so etwas wie einem Staat im Staate heraufgedrangsaliert. Und glaubt jetzt, weil er in seiner Freizeit, wozu ihn niemand gebeten hat, lange Fahnen bastelt, Papierschnipsel (Autist eben) zusammenschneidet, die man dann innerhalb von nur 90 Sekunden in die Luft hält, schmeißt oder sonstwas und vorbei ist der Effekt, dass er einem Fußballverein sagen könne, wo es lang zu gehen habe oder auch nicht.

Und wer dann solche Floskeln benutzt wie (den weinerlichen Unterton bitte dazu denken): „Aber wenn das in Südland (wo auch immer dieses Südland liegen mag) passiert, wird es immer als tolle Atmosphäre abgefeiert, wenn man anderen Menschen mit 1000° heißen Flammen die Beine abfackelt, warum denn hier nicht?“

Wer solch kranker Fan ist, dass er sein Leben einem etwas widmet, das gar nicht existiert, außer in seinen Wahnvorstellungen, der gehört auf die Couch.

Dass das für zig Tausende Fans in Deutschland gilt und nicht nur für die Ultras – geschenkt. Der entscheidende Unterschied zwischen den wenigen, die glauben, der Staat im Staate zu sein, und jenen, die zwar ebenso autistisch sind, aber gewaltfrei, ist, dass Letztere von sich nicht behaupten, der Verein zu sein. Und das hier ist übrigens Napoleon, er hat immer Ausgang zwischen 14h und 16h, dann führt ihn die Schwester im Park herum.

Andere Teil-Aspekte dieser Argumentation, dass z. B. ein Dauergesang ungefähr so spielbeeinflussend und spieler-motivierend ist wie ein 92 Tage lang aufs Wellblechdach prasselnder Monsun, wie das stete Zirpen der Grillen in einer lauen Sommernacht oder wie das Rattern eines D-Zugs auf der Strecke zwischen Warschau und Bordeaux, werden für weitere Beiträge aufgespart, sind aber nicht minder relevant.

Und „Pyrotechnik“ und „Feuerwerkskörper“ findet wohl auch nur jener noch in irgendeiner Form amüsant, dem noch nicht das Trommelfell oder noch mehr im Ohr zerrissen wurde, woraufhin jeglicher Gleichgewichtssinn flöten geht, frag nach bei Georg Koch. Und mit kaputtem Gleichgewichtssinn ist gerne mal ohne Anlass kotzen, weil man nicht mehr gerade stehen noch sehen kann — selbst wenn man bereits auf dem Krankenhausbett liegt.

Aber im Südland — jenem imaginären Traumland der Ultras — gibt es natürlich keine kaputten Gleichgewichtssinne. Abgesehen von den eigenen kaputten Gleichgewichtsinnen in Bezug auf die realen Begebenheiten.

Ein Fußballspiel ist mehr oder minder interessant durch seinen Spielverlauf. Da kann man auf ein paar Fahnen und ein paar Papierschnipsel und ein paar 1000° heiße Flammen verzichten. Denn der Verlauf und vor allem der Ausgang des Spiels entscheiden über die Stimmung. Das allerdings natürlich nur dann, wenn man sich für den Spielverlauf interessiert.

Wir schalten zurück zum Abenteurspielplatz Fußballplatz Krankenhaus Funkhaus.

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Oh, oh, oh, oh Lidl

Man geht einfach in den Supermarkt, man steht noch nicht mal in der Schlange an der Kasse, aber plötzlich singt jemand neben einem das „Oh, oh, oh, oh, oh“ der soundsovielten Armee vor sich hin und man fragt sich, warum die Menschheit als solche überhaupt noch lebt, wenn sich Meme doch so viel schneller durchsetzen als Gene, bzw. man fragt sich eigentlich nur noch, warum noch nicht. Abgesehen davon, dass man früher für jeden Moment dankbar gewesen wäre, zu welchem man gute Musik in Supermärkten gehört hätte, war das Gesummse da keine gute Musik und man kann es auch nicht mehr hören. Den Ultras entrissen, las man zuletzt, lustig, natürlich, die Ultras an sich waren ja schon immer die größten Fans dieser Armee. Die hatten das zuallererst, sogar noch bevor die Band selbst das überhaupt gedacht hatte. Also bitte, der Song war ok, und ich hab ihn mir auch ungerne verderben lassen, aber vorbei ist nun mal vorbei und verdorben ist verdorben. Und der Typ im Supermarkt kaufte dann eh nur Traubensaft in seinem unsäglichen T-Shirt, gesangsbefreit.

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