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Schlagwort: Duisburg

Die Welt* zu Gast an der Wedau

*meisterschaftsqualifikation

Zumindest jener Teil, der in Corona-Zeiten überhaupt irgendwo zu Gast sein kann. 23 Wikinger nämlich, deren Trainer samt Stab (früher sagte man „staff“ dazu) und anderthalb Gießkannen voll Journalisten nebst Übertragungsmenschen sind heute Abend zu Gast an der Wedau. Heute und am nächsten Mittwoch noch einmal, dann allerdings 23 Nordmazedonier statt Isländer.

Wer nicht an der Wedau weilt, ist Uli Hoeneß, der seine Expertise vom Studio in Köln aus einfließen lässt. Verständlich, erlebte er doch einige seiner weniger schönen Nachmittage an diesem Ort.

Wieso das alles aber auch noch eine Notiz wert ist, ist der Umstand, dass Duisburg damit als Austragungsort eines Länderspiels des DFB einen gehörigen Sprung nach vorne in jener Liste macht.

Schon heute Abend lässt man Bochum und Ludwigshafen mit ihren je 4 Länderspielen hinter sich. Am Mittwoch wird man mit den 6 Länderspielen in dieser Stadt auch Breslau, Augsburg und Freiburg hinter sich lassen. Dann liegt man nur noch ein Länderspiel hinter Dresden, Mönchengladbach und Karlsruhe und deren zwei hinter Leverkusen. Wobei ein weiterer Sprung in dieser Liste erst einmal nicht wahrscheinlich ist, sollten in den nächsten Jahrzehnten nicht wieder diverse Pandemien auftreten.

Hier der kurze Überblick über den Stand ab nächster Woche:

Stadt Länderspiele des DFB
Berlin 46
Hamburg 34
Stuttgart 33
Köln 28
Hannover 27
Düsseldorf 26
Frankfurt 25
München 25
Nürnberg 22
Dortmund 20
Gelsenkirchen 18
Leipzig 12
Kaiserslautern 10
Bremen 10
Leverkusen 8
Karlsruhe 7
Mönchengladbach 7
Dresden 7
Duisburg 6
Freiburg 5
Augsburg 5
Breslau 5
Ludwigshafen 4
Bochum 4
Mannheim 3
Altona 3
Wien 3
Essen 2
Mainz 2
Saarbrücken 2
Königsberg 2
Chemnitz 2
Rostock 2
Sinsheim 2
Wolfsburg 2
Beuthen 1
Krefeld 1
Stettin 1
Aachen 1
Erfurt 1
Wuppertal 1
Magdeburg 1
Kleve 1

Beim ersten Länderspiel in Duisburg, einem 0:3 gegen Belgien, konnte man übrigens noch Nationalspieler werden, wenn man eigentlich nur als Zuschauer gekommen war und ein bisschen kicken konnte, hier Näheres dazu.

Beim letzten Länderspiel an dieser Stelle 2007 gegen Dänemark hieß es hingegen noch (0:1, Kapitän damals: Kevin Kuranyi), dass dieses für immer das letzte Länderspiel an der Wedau gewesen sein werde. Fortan wolle man nur noch in größeren Stadien antreten. Kann man mal sehen, wie unvorhersehbar die Weltläufte sind.

Dann darf man also gespannt sein, wie die Analyse von Uli Hoeneß ausfallen wird. Gespannt auch, wie sich der neue Rasen machen wird, der extra für die Länderspiele als Mitbringsel des DFB verlegt wurde und dem MSV im Abstiegskampf der 3. Liga hilft oder vielleicht auch nicht. Und wie die beinahe letzten Pflichtspiele der Ära Löw verlaufen werden, nachdem man im bislang letzten tatsächlich die höchste Niederlage des DFB in Pflichtspielen überhaupt eingefahren hatte. Das 0:6 gegen Österreich 1931 war ebenso wie das 0:9 gegen England kein Pflichtspiel. Das 0:6 in Spanien schon.

Nun also Island an der Wedau, voraussichtlich ohne ihr charakteristisches Huh!

Die bisherige Bilanz gegen Island:

1960 Island – Deutschland 0:5, Testspiel
1979 Island – Deutschland 0:2, Testspiel
2003 Island – Deutschland 0:0, EM-Qualifikation („Die Isländer sind Tabellenführer, oder nicht?“)
2003 Deutschland – Island 3:0, EM-Qualifikation

Wer das Spiel mangels Interesse jedoch nicht schaut, kann ja mal diesen schönen Longread „Nationalmannschaft in der Krise“ von Andreas Rüttenauer zum Thema lesen, vielleicht findet er oder sie sich darin wieder.

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Das neue „Duisburg-Lied“

Obacht, Lokal-Content, wer nicht mag, einfach (woanders) weiterlesen.

Wer öfter ins hiesige Stadion geht, kennt das „Duisburg-Lied“ als jenes, welches einst der auch heute noch grandiose Peter Közle und der damalige Stadionsprecher Bülent Aksen aufnahmen. Das läuft auch immer noch vor Anstoß, meistens jedenfalls.

Philipp Eisenblätter hat aber jetzt ein neues Duisburg-Lied geschrieben, welches ohne das Video wohl nur halb so gut wäre – und dennoch sehr den Zeitgeist trifft. Endlich gibt es eine Antwort auf den Song der elendigen „Bandbreite“, der zwar für sich genommen nicht unbedingt verkehrt war, qua seiner Urheber aber ein absolutes No-Go ist. Dieser neue Song klingt ein bisschen nach Element of Crime, und die ganzen Szenen im Video zum Song weiß man wohl auch nur zu schätzen, wenn man von hier wech kommt. Wie dem auch sei, ein gelungenes Stück, am blauen Büdchen, an der Mühlenweide und so weiter aufgenommen. Bei mir umme Ecke eben.

Und ach ja, der MSV Duisburg kommt auch drin vor, wenn auch nur visuell. Weshalb das Lied auch hier ins Fußballblog passt. Allein dafür lohnt es sich nämlich. Und nein, das trifft sonst allgemein nicht meinen Musikgeschmack, aber wer nimmt schon ein Musikvideo in Ruhrort und an der Sechs-Seen-Platte auf … und am Wedaustadion.



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Ein Erdbeben-Test

Einmal musste ich in Rheinhausen in ein Internet-Café. Das war in der Prä-Smartphone-Zeit. Rheinhausen ist ein Stadtteil von Duisburg, wobei das genau genommen nicht so stimmt. Eigentlich ist Rheinhausen eine eigenständige Stadt, nur eine Kommunalreform im Jahr 1975 hat diese eigenständige Stadt nach Duisburg eingemeindet. Wie das so ist, mit alten Grenzen, die physisch gar nicht existieren, nur in den Köpfen und dort aber für immer leben, so lange durch die Köpfe noch Blut fließt, die an jüngere Generationen eher implizit als explizit vererbt werden, fühlt man sich in Rheinhausen (ca. 77.000 Einwohner, durchaus fast eine eigenständige Großstadt) nicht so wirklich als Duisburger, wenn man auch aufgegeben hat, auf seiner eigenen administrativen Unabhängigkeit zu bestehen. Anders als im ewigen Kampf von Wattenscheid gegen Bochum beispielsweise.

Rheinhausen ist jedenfalls eine Stadt, die mal extensiv in den Schlagzeilen vorkam, bundesweit, weil hier ein Stahlwerk von Krupp dicht gemacht werden sollte, woraufhin alle Stahlarbeiter in Streik traten und u. a. die von Duisburg nach Rheinhausen führende Rheinbrücke wochenlang blockierten. Wie sie überhaupt vieles blockierten. Was aus heutiger Sicht befremdlich wirkt, mag damals ein Weg gewesen sein, seiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen, wahrscheinlich eher seiner Angst als einer Hoffnung. Viele solidarisierten sich, Stahl- und Kohlearbeiter aus Dortmund oder sogar aus dem Saarland rückten an, um die Streikenden zu unterstützen, wirklich, wie gesagt kaum nachzuvollziehen heutzutage.

Wenn sich etwas überlebt hat, warum sollte es man dann noch künstlich am Leben erhalten? Husch, husch, schnell neue Jobs gesucht, neue Firmen gegründet, weiter im Leben.

Aber so war die Mentalität damals nicht, man kannte es eben kaum, dass man überhaupt einmal in seinem Leben seinen Arbeitsplatz bzw. -geber würde wechseln müssen, wenn man einmal bei einem der Großen gelandet war. Thyssen, Krupp, Bayer, you name it, wer einmal drin war, wurde auch mit deren Firmenlogo beerdigt. Sozusagen.

In Duisburg hat man die damals blockierte Brücke dann flugs umbenannt in „Brücke der Solidarität“. Als hätte auf der Straße rumstehen und dagegen protestieren, dass die eigene Firma nun mal mit so vielen unproduktiven Fritzen international nicht konkurrenzfähig ist, etwas mit Solidarität zu tun. Sie haben sich doch einfach nur alle in die Hose gemacht, ahnten noch nicht, dass alle Blumen in ihrem Schlaraffenland schon längst verwelkt waren, aber damals war das normal, dass man sagte: Nee, hier bin ich kurz nach der Schule in die Lehre gegangen, hier will ich auch bis zur Rente bleiben. Flexibilität war ein Fremdwort. Wie das vom Smartphone eben auch.

Und solche gab es noch nicht, als ich in ein Internet-Café in Rheinhausen musste. Ich musste, weil ich irgendetwas Wichtiges für einen Job, den ich gerade im Feld erledigt hatte, per Email übermitteln musste. Rheinhausen galt damals schon als finster, so lange ist es auch noch gar nicht her. Kurz reingehuscht und meine Email getippt, dachte ich. Doch da hatte ich die Rechnung ohne den großen Fernseher an der Wand gemacht, der gerade ein Spiel von Galatasaray übertrug (vielleicht war es auch Fenerbahce).

Während ich an einem der wenigen Rechner in diesem Internetcafé saß und vor mich hintippelte, lief auf dem großen Fernseher an der Wand die Übertragung eines Spiels von Galatasaray (oder Fenerbahce). Die im Internetcafé versammelte Menschenmenge an offensichtlich türkischstämmigen – ausnahmslos männlichen – Menschen wurde immer größer. Wer der Gegner war, vermochte ich anhand der eingeblendeten Mannschaftskürzel nicht zu sagen.

In jedem Fall schien es äußerst wichtig zu sein, wie diese Partie ausging, denn die versammelte Fangemeinde ging nicht nur mit und raufte sich wortwörtlich bei jeder vergebenen Chance die Haare, es gab auch Szenen, in denen Fans mit der blanken Faust auf zufällig unschuldig herumstehende Tische schlugen. Das allgemeine Gebrabbel, aber vor allem Mitgefiebere wurde immer größer, bis ich kaum noch meine eigenen zu tippenden Worte verstand, obwohl ich dafür nur meine Finger auf der Tastatur bewegen musste. Die Zeit drängte, die Deadline rückte näher, ich konnte nicht weiter herausfinden, wer da gegen wen spielte.

Dass es hoch und heiß herging, war aber nicht zu überhören, die vor dem TV versammelte Menschenmenge raunte immer lauter, jede auch nur halbe Chance wurde mit intensiven Flüchen begleitet, so laut, dass man alleine davon schon fast Tinnitus bekam. Die angefragten Daten flogen immer langsamer in die Email, so sehr zischte und rauschte es durch den Saal, der eigentlich nur aus einer kleinen Bude bestand.

Hin und her ging es wohl nicht in diesem Spiel, doch umso mehr Chancen das angefeuerte Team vergab, desto dringlicher seufzte die Menge, rief Allah an und verzweifelte auch mit allen sonstigen Komponenten ihres Körpers. Einige liefen nach vergebenen Chancen nach draußen, ich wartete nur darauf, dass einer eine Pistole zückte und vor Verzweiflung in die Luft schösse.

Ich tippte und tippte auf der Tastatur, bald war das Ende der Dateneingabe schon abzusehen, da, als hätte man es komponiert, fiel dann doch noch das Siegtor für die angefeuerte Mannschaft. Die ganze vorher erlebte Spannung entlud sich in einem orkanartigen Jubel, von dem ich annahm, dass er rein durch seine physische Gewalt alle gerade von mir eingegebenen Daten vernichten würde. Dem war aber nicht so, stattdessen liefen die Zuschauer, Fans, aufgeregt durch den Laden und jubelten, einer verpasste mir einen Kuss auf die Wange und ich dachte, sicher wäre hier gerade die Vorentscheidung in der Meisterschaft gefallen. Zum Glück war meine Email gerade fertig.

Ich klickte auf Senden, drängte mich zum Kassierer durch und sagte: eine Stunde Internet. Macht 2 DM, ok. Beim Rausgehen frage ich einen der Jubelnden, was das denn für ein Spiel gewesen sei.

„War nur ein Testspiel.“

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Scheiße!


Götz George ist verstorben, der in ebenso vielen anderen Rollen wie in Ausgaben seines Horst Schimanskis glänzte. Warum diese eine Rolle so getauft wurde, was das mit Fußball zu tun hat, erfährt man hier.

Dass er in der Folge „Zweierlei Blut“ in der Hooligan-Szene des MSV Duisburg ermittelt, in die er sich einschleicht, nach seinem Auffliegen zur Belohnung dann verprügelt wird und nackt am Mittelkreis des (alten) Wedaustadions erwacht (wie im Video zu sehen, lohnt sich, mit Flutlicht-Szene), das hat viel weniger mit dem MSV Duisburg zu tun, als es für seine gesamte Rolle als dieser Schimanski gilt. Eine Rolle, welche heute noch in einem der drei relevanten Vereinslieder des MSV Duisburg besungen wird.

Klar war er auch in „echt“ — also Schimanski — Fan des MSV Duisburg, gab aber vor allem der Stadt Duisburg der 1980er Jahre und damit wohl auch dem gesamten Ruhrgebiet ein authentisches Gesicht. Eines, das derart authentisch war, dass sich die Stadtoberen Duisburgs beim WDR über diese Darstellung beschwerten, während er in der Zwischenzeit zur vielleicht wichtigsten Marke dieser Stadt wurde.

Irgendwer zählte auch einmal, wie häufig Schimanski in allen seinen Folgen „Scheiße!“ rief, was neben Schnäuzer, der typischen beigen „Schimanski-Jacke“ (Feldjacke M65) und zumindest meist seinem Citroën CX zum Markenzeichen wurde.

Was seine Rolle TV-historisch im deutschen Fernsehen an anderem Revolutionärem enthielt, möge man eher TV- und cineastischen Blogs entnehmen. Unzweifelhaft ist mit Götz George aber der Darsteller des bekanntesten MSV-Fans der Republik verstorben. Wie kleingeistig der Konflikt um die Umbenennung eines schmalen Wegleins in — natürlich — Duisburg-Ruhrort in „Horst-Schimanski-Gasse“ nun wirkt, da dessen Darsteller tatsächlich verstorben ist (siehe auch Link oben).


Nicht nur alle Fans des MSV Duisburg und Einwohner Duisburgs oder wahrscheinlich des Ruhrgebiets werden heute Abend laut „Scheiße!“ gerufen haben, schließlich blieb er bis zur letzten Ausgabe von Horst Schimanski im Jahr 2013 der beliebteste Tatort-Darsteller überhaupt — und das mit großem Abstand.

Natürlich war so manches überzeichnet, strotze auch damals schon vor Klischees und ebenso natürlich zeigt sein übriges Werk, dass man Götz George selbstredend nicht mit Schimanski gleichsetzen darf. Wenn er diese Figur auch nicht allein erfunden hat, so hat er sie aber entscheidend geformt und damit einem Milieu einen Auftritt in der TV-Öffentlichkeit ermöglicht, das in diesem Umfang zuvor dort noch nicht existierte, existieren sollte. Seiner darauf fußenden enormen Beliebtheit, man weiß nicht genau, ob Georges oder nur Schimanskis, wird dessen Ableben keinen Abbruch tun; im Gegenteil wird der Currywurst-Absatz in den nächsten Tagen einen dramatischen Anstieg erleben.

Mag diese Ruhrgebietswelt der 1980er Jahre auch — und wer würde das in der Realität ernsthaft bedauern? — untergegangen sein, wird Schimanski doch immer ein nahezu definierendes Element dieser jetzt noch gelebten Identität bleiben. Durchaus im doppelten Sinne:

Mensch, Horst!

Achja, und grüß uns den Thanner.

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So war die Lesung zum Buch: Der Tornado vertellt einen

Der Ort war wie gemalt für die Lesung von Michael Tönnies und dem Autor des Buches „Auf der Kippe“, Jan Mohnhaupt, über eben jenen „Dicken“ getauften Stürmer des MSV Duisburg, der heute nachsichtigerweise nur noch „Tornado“ genannt wird:

Ein barockes Clubheim im Duisburger Süden, wo tatsächlich noch reger Vereinsbetrieb herrscht und sich über 40 Zuhörer eng in einem kleinen Raum zusammenfanden, um den Worten des einstigen und inzwischen wieder MSV-Stars Tönnies zu lauschen. Die Gesprächsleitung hatte Stefan Leiwen, Stadionsprecher des MSV Duisburg. Das ist Michael Tönnies mittlerweile auch, Stadionsprecher, zumindest für die zwei Minuten, in denen die konkrete Aufstellung vorgelesen und von den Fans skandiert wird.

Der Grund, warum Tönnies zu solch einer Leistung überhaupt in der Lage ist, bildet die Basis dafür, warum dieses Buch — und damit auch die Lesung — überhaupt entstand bzw. stattfand. Der „Dicke“ hatte es schon während, aber vor allem nach seiner Karriere allzu sehr übertrieben mit allem, was der Gesundheit nicht zuträglich ist. Geraucht, gesoffen, viel gezockt auch und gehurt, aber eben vor allem geschmökt wie ein Weltmeister. Mehr als 80 Zigaretten am Tag rauchte er zu Hoch- oder doch eher Niedrigzeiten, in manchen durchzechten Nächten sogar noch mehr. Kein Wunder, dass er in seiner gemeinsamen Zeit beim MSV mit Gesundheitsfanatiker Ewald Lienen öfter aneinanderrauschte.

Am Ende stand ein Lungenkollaps, immerhin kein Krebs, der kürzlich Johan Cruyff dahingerafft hatte. Aber eine neue Lunge war damit zum längerfristigen Überleben nötig. Doch Lebensmut und auch finanzielle Sicherheit waren ihm ohne Aufgabe im Leben nach dem Fußball schon vorher verloren gegangen. Die Geschichte dürfte bei einschlägig Interessierten lange bekannt sein. Für alle anderen führte Stefan Leiwen durch Tönnies‘ Leben und damit auch durch Mohnhaupts Buch. Zum Einstieg ein Video an der Leinwand von einem der vielen torreichen Auftritte des „Tornados“ — immerhin bis vor Monaten noch Schütze des schnellsten Hattricks der Bundesliga-Geschichte. Danach ging es eher um jene Themen, die man als Fan nie mitbekommt. Wie geht es in der Kabine einer Profimannschaft zu und wie im Trainingslager?

Wie man hört, schon damals genauso, wie man sich das Bekämpfen von Langeweile bei jungen Menschen vorstellt, zumal ohne Playstation oder Handyspiele: Mit viel Bier und noch mehr Zockerei. Das kennt man übrigens aus der Biografie des aus etwas anderen Kreisen stammenden Heinz Höher, der trotzdem genauso abstürzte. Zocken und Alkohol — in Fußballerkreisen anscheinend eine weit verbreitete Kombination.

Was Tönnies beinahe dahinraffte, war aber nicht der Alkohol, sondern die Zigaretten. Als er selbst beinahe jeden Lebensmut verloren hatte, es aber genau darum ging: um sein Leben, entdeckten ihn MSV-Fans und gaben ihm so viel Zuspruch, dass Tönnies doch weitermachte.

Der Tornado ließ sich nach viel Überwindung auf die Liste der Transplantationswilligen setzen und wurde nicht weniger als 3x mit falschem Alarm von Essen in die Klinik nach Hannover gefahren, lag teils schon auf dem OP-Tisch, ehe dann doch noch das Stoppzeichen kam. Die Spenderlunge passte nicht zu ihm oder wurde beschädigt. Beim vierten Mal war es dann so weit. Er wachte während der 2. Halbzeit eines Bundesligaspieltags an einem Samstag auf und war insofern ein neuer Mensch, als er wieder voll atmen konnte, aber in sich den funktionierenden Lungenflügel eines Verstorbenen trug. Und nicht mehr rauchte.

Mit welcher Offenheit Tönnies sein Scheitern in quasi allen Lebenslagen nach der aktiven Karriere schilderte, wirkte ebenso eindrücklich wie jene von Heinz Höher. Dass er das nicht ganz so eloquent vortrug wie dieser, machte ihn nur noch authentischer. Autor Jan Mohnhaupt las einige Passagen aus dem Buch, das Tönnies‘ „Zwei Leben“ beschreibt. Und der Co-Stadionsprecher des MSV, der „Tornado“ Tönnies, gab zu, dass ihn 2 Minuten beim Vorlesen der Spielernamen nervöser werden lassen als jedes Spiel vor ähnlicher Kulisse früher.

Keine Lesung, vielmehr ein Gespräch mit einigen Videos und eher wenigen Lesepassagen. Ob er sich nicht geschämt habe, sich derart zu öffnen, wie er es für das Buch tat, wurde Tönnies hernach vom Publikum gefragt. Nein, das sei er den Leuten, die ihn derart unterstützt haben, dass er überhaupt noch lebe, schuldig gewesen, dass er in Bezug auf seinen Werdegang „mit offenen Karten spiele“. Letzteres tut er zum Glück nur noch in Bezug auf Mohnhaupts Buch und seine Biografie, nicht aber im richtigen Leben. Da hatte er sogar Begegnungen mit bewaffneten Geldeintreibern, zig Tausende Mark verzockt und war diese schuldig geblieben. Auch das, wie die Raucherei und sein fehlender Lebensmut, scheinen aber Vergangenheit zu sein. Eine Vergangenheit, die Jan Mohnhaupt nicht zuletzt aufschrieb, weil er selbst als Kind wegen Tönnies damals Fan des MSV geworden war.

Natürlich gratulierte Michael Tönnies Robert Lewandowski öffentlich, als jener ihm seinen Hattrick-Rekord der Bundesliga raubte, was zum äußerst bescheiden und demütig auftretenden Tönnies passt. Zu einem Mann, der, wie er selbst sagt, ein „in Essen lebender Duisburger“ ist. Ein Abend, der nicht im Kern mit Fußball zu tun hatte, sondern viel mit dem Leben daneben, danach und auch dem möglichen Sterben.

Dass Tönnies sich schämte, dass er als Transpantationsbedürftiger innerlich teils auf den Tod anderer Menschen hoffte, um selbst zu überleben, kann wohl nur nachvollziehen, wer in selber Lage gewesen ist. Dass er dies wie so vieles andere weniger Positive offen aussprach, ließ den Abend hingegen tatsächlich wertvoll werden. Da sprach keiner, der seine Karriere verklärte und Scheitern stets anderen in die Schuhe schob. Dass Mohnhaupt dessen Leben passend in seine Texte zu übertragen wusste, machte den Abend rund. Am Ende bot Tönnies — bezeichnend für seine Selbtzweifel — sogar an, dass man die Fans darüber abstimmen lassen solle, ob er überhaupt noch Co-Stadionsprecher sein solle. Man wusste nicht, ob das im Scherz gemeint war. Man darf aber sicher sein, dass er trotz eher wenig voller Stimme und spürbarem Lampenfieber ein Wahlergebnis nahe jenen der SED erreichte.

Im Video spricht Tönnies über die Frage der Identifikation eines Spielers mit einem Verein, früher vs heute. In der Mitte der Autor Jan Mohnhaupt, links Stefan Leiwen.

Hier geht’s zur Rezension des Buches durch Kees Jaratz.

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„Tatort“ — Was Horst Szymaniak mit der Horst-Schimanski-Gasse zu tun hat

Ich schaue nie „Tatort“. Abgesehen von den alten Schimanski-Folgen, auf dessen Geschmack zu kommen ich erst nach München zum Stadtneurotiker fahren musste, wo ich in diesen Charakter eingewiesen wurde. Die einzige andere Folge vom „Tatort“, die ich je sah, ist jene mit Theo Zwanziger, Jogi Löw, Oliver Bierhoff, Steffi Jones und Celia Okoyino da Mbabi, in der sie zeigen, dass es noch eine Kategorie unterhalb der Kategorie „Laienschauspiel“ geben muss. Sowie, dass Drehbücher für diese Reihe nicht dazu verleiten, den Eingangssatz ändern zu müssen.

Duisburg benennt nun eine Gasse nach seinem bekanntesten Einwohner. Es benennt diese Gasse nicht „um“, weil diese Gasse im Ruhrorter Hafen zuvor gar keinen Namen besaß. Dass der bekannteste Duisburger ein fiktiver Charakter ist, ist dabei wohl eher ein Glück.

Die Idee der Neubenennung schwirrte schon länger herum, eine Strickmafia (siehe Foto) hatte schon eigenmächtig Straßenschilder mit der Beschriftung „Schimmi-Gasse“ dort aufgehängt.

Die Duisburger Stadtverwaltung aber lehnte eine solche Benennung dieses eher unscheinbaren Gässchens, welches durchaus einmal in einem Tatort Schauplatz einer Szene war, ab. Schimanski lebe ja noch, war eine Begründung, und nach lebenden Personen würden keine Straßen benannt. Wobei dann hier das Fiktive an seiner Existenz relevant wird, denn fiktive Charakter sterben bekanntlich nie — oder zumindest so lange nicht, wie die Menschheit noch existiert.

Die Duisburger Stadtverwaltung besaß aber noch einen zweiten Grund zur Abwehr dieser Namensgebung. Und hier kommt der Fußball ins Spiel. Denn offensichtlich besaßen die dort Argumentierenden keine ausreichenden Kenntnisse im Fußball und dessen Drumherum, sonst hätten sie ihr nächstes Argument gleich in der Schublade gelassen.

Eine Schimmi-Gasse käme nicht in Frage, weil die Verwechslungsgefahr zu groß sei. Mit wem? Mit Horst Szymaniak, dem Fußballer, dem Nationalspieler, dem Star bei Inter Mailand, welcher ebenfalls den Spitznamen „Schimmi“ trug.

Diese Begründung ist, sagen wir mal, putzig.

Denn Horst Schimanski heißt nicht nur Horst mit Vornamen zu Ehren von Horst Szymaniak. Er hatte auch den Spitznamen „Schimmi“ zu Ehren eben jenes Horst Szymaniak erhalten. Die Erfinder der Figur Kommissar Horst Schimanski dachten nämlich explizit daran, jenem Ruhrgebietsfußballer damit eine Reminiszenz zu erweisen. Insofern wäre also eine Verwechslung beim Rezipienten zwar möglich gewesen, in beiden Fällen hätte man sich aber in letzter Konsequenz ohnehin auf den Fußballer Horst Szymaniak bezogen. Wie dem auch sei, am Ende sind sie dann doch eingeknickt und Duisburg besitzt nun in Ruhrort seine, dann allerdings den vollen Namen verwendende „Horst-Schimanski-Gasse“.

Pointe: keine. Aber durchaus Munition für divese Smalltalksituationen.

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Neue Lesetermine: Bonn, Nürnberg, Leipzig, Düsseldorf, Frankfurt, Bern, Aachen, Duisburg

Im ersten Halbjahr gastierte mein Leseprogramm „Drama Queens in kurzen Hosen“ bereits in diversen Städten dieser Republik, jetzt geht es in die Herbsttage und die dazugehörige Herbsttour. Wieder 2×45 Minuten plus Halbzeitpause und eventueller Verlängerung.

Die nächsten Termine bis zum Jahresende finden in Bonn, Nürnberg, Leipzig, Düsseldorf, Frankfurt a. M., Bern, Aachen und Duisburg statt.

Save the date(s) und dann sehen wir uns hoffentlich live vor Ort. Wo die Lesung und nicht zuletzt die After Hour genau stattfinden, das verrät die Übersichts-Seite mit allen Leseterminen.

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Auf Küppersbuschs Spuren 
Hamborn 07 — KFC Uerdingen

In der Ecke des Herausforderers: die Sportfreunde Hamborn 07, Teilnehmer des ersten live im deutschen TV übertragenen Spiels am 26. Dezember 1952 beim FC St. Pauli, DFB-Pokal-Halbfinalist von 1961 und Beinahe-Gründungsmitglied der Bundesliga, wenn nicht der Meidericher SV den Vorzug erhalten hätte.

In der Ecke des Champions: der KFC Uerdingen, deutscher Pokalsieger von 1985, Ausbildungsstätte Felix Magaths zum Manager und untrennbar verknüpft mit der Vokabel „Dresden“. Aktuell unangefochtener Tabellenführer der Oberliga Niederrhein mit vor Anpfiff 15 Siegen aus 16 Partien.

Auf dem Rasen: zwei Teams mit jungen Männern im Dienste von Fünftligisten. Aktive Spieler in ersten Herrenmannschaften werden scheinbar immer jünger, waren sie vor Kurzem noch ungefähr so alt wie der Autor, sind sie plötzlich im Schnitt zehn Jahre fitter.

Auf den Rängen: 848 zahlende Zuschauer, zwei Drittel davon in Uerdinger Farben. Ebenfalls auf den Rängen der Autor, der doch für einige Minuten glaubte, es mit über 1.600 Zuschauern zu tun zu haben, schließlich lautete die Seriennummer auf der Eintrittskarte 1.694. Doch da hatte Hamborn 07 wohl die verkauften Karten der kompletten Saison durchgezählt, denn sonst treffen hier nur 200 bis 300 Zahlende pro Partie ein, allerdings nicht alle Vollzahler.

Der Entschluss fiel schnell und kurzfristig. Die U-Bahn vor der Haustür führt schließlich nicht nur direkt zur MSV-Arena und zum Düsseldorfer Stadion, sondern auch zu weiteren Orten, an denen höherklassig Fußball gespielt wird.

Der Spielplan sah den Anstoß schon für 14h vor. Klar, denn die Uerdinger würden gerne in die Regionalliga West aufsteigen und früher Vogel fängt bekanntlich Punkte und derlei mehr, während Hamborn 07 die selben für den Kampf gegen den Abstieg benötigte.

Flugs in die Linie 901 begeben, die über Ruhrort und Bruckhausen nach Hamborn eine exzellente Stadtrundfahrt durch dieses gefühlt an allen Enden und Ecken sterbende Duisburg ermöglicht und in direkter Nähe des Hamborner Stadions hält — „Am Holtkamp“. Fassungsvermögen 5.000 Zuschauer mit einer kleinen überdachten Haupttribüne mit Platz für 500 Menschen.

Von der Haltestelle einige wenige Hundert Meter zu Fuß durch Hamborn zu flanieren bietet die Gelegenheit, zu bewundern, wofür Menschen in und um Hamborn heute ihr Geld ausgeben. Zum Beispiel für Autotuning und Erzatzteile. Dabei ist von stolzen Besitzern dieser Karren auch zu lernen, dass Buchstaben auf den Nummernschildern dieser getunten Autos eine Bedeutung besitzen. So steht ein „X“ dafür, dass der Fahrer des Wagens Single ist. Darauf wären Nichttuner im Leben nicht gekommen, aber natürlich dienen diese Karren in erster Linie zum Balzen und zum Ausstechen der Konkurrenten, was schon sehr kurzfristig gesehen ohnehin ein und dasselbe ist.

Wenn gerade schon der legendäre Bruckhausener Hochofen 4 abmontiert wird (schickeres Bild hier), so müssen sich die Anwohner um neue Aktivitäten fürs Portemonnaie kümmern. Was liegt da näher, als sich mit dem hier so populären Autotuning zu beschäftigen? Erzatzteile immer parat, ob neu oder gebraucht, einfach anrufen, lieber aber nicht fotografiert werden, dann skeptisch gucken und nachfragen, was man da fotografiere. Die Erzatzteile, auch im übertragenen Sinn, für das, was hier früher mal passierte.

Im Stadion „Am Holtkamp“ angekommen zeigt sich, dass der monetäre Unterschied zwischen fünfter (7 Euro) und zweiter (11 Euro) Liga nicht ganz so groß ist, wie der Unterschied bei der Zahl der anwesenden Fans. Denn da war es nur dank der Uerdinger Anhänger ungefähr ein Zehntel dessen, was sich an Menschen zum örtlichen Zweitligisten verirrt. Dem Staunen Ausdruck verliehen, dass das happige Preise seien, entgegnete der Kassenhäuschenmann nur, dass er das ständig höre, aber eben die Preise nicht selbst festlege. Und von irgendetwas müsse der Verein ja auch leben können.

Die drei Hände voll überzeugter Hamborner Fans schreckt solch ein Eintrittspreis natürlich nicht ab, wahrscheinlich sind sie ohnehin Mitglieder. Singen konnten sie genauso wie die Uerdinger, wenn auch aus weniger Kehlen. Bunte Fahnen geschwenkt, nur Grund zum Konfettiwerfen würde es in dieser Partie nicht geben.

So sangen die Uerdinger Ultras (nicht die „Harlekins Krefeld“!) auch Dutzende Minuten lang von ihrem Traum, in die 1. Liga zurückzukehren. „Ja, wir kommen wieder, in die 1. Liga“ reimte es sich da nicht ganz unfallfrei, aber stimmlich im Original doch überzeugender als das davon erstellte Tondokument dies wiedergibt. Weshalb das Tondokument hier ausfällt.

Vorbei am ersten Fotografen, auch für die fünfte Liga waren gleich mehrere ausgerückt in der Hoffnung, davon noch leben zu können. Dass sie selbst mit dem Handy fotografiert wurden, machte die meisten von ihnen ein wenig ungehalten, auch wenn sie diese Stimmung dann nicht völlig rausließen, man ist ja Profi.

Wie man überhaupt in dieser Gegend scheinbar nicht gerne fotografiert wird, ob jetzt jeder Zweite etwas zu verbergen hat, weil er krumme Dinger dreht, eine gewisse Grundskepsis gegenüber jenen besitzt, die einen Ausflug nach Hamborn für sich als ein touristisches Erlebnis begreifen — oder ob sie nach Abwägen aller Pros und Kontras der neuen Medien zu dem Schluss gelangt sind, dass sie lieber nicht in irgendjemandes Blog auftauchen möchten, das weiß man nicht.

Vorbei also am ersten Fotografen, hinter das Hamborner Tor, wo man den einen oder anderen Einschlag schon in der ersten Halbzeit erwartet hätte. Dazu kam es aber nicht, sondern zum Gespräch mit einem mittelalten Herrn, der alleine abseits der vielen Uerdinger Fans stand, weil er sich „das Spiel und die Taktik“ anschauen wolle. Wie sich herausstellte, war er ehemaliger Jugendtrainer bei einigen der ganz großen Vereine des Fußballwestens.

*

Das ganze Trainersein sei eigentlich nur Menschenführung. Natürlich komme auch ein bisschen Taktik und Strategie dazu, aber die könne man sich für fünf Mark auf nem Kneipendeckel notieren. Menschenführung, das A und O, und bei jüngeren Teams natürlich sowieso. Er hatte auch ältere Teams, aber auch da sei es Menschenführung. Wann einer gestreichelt werden müsse und wann er die harte Hand brauche, das müsse man immer wieder neu austarieren. Das allerschlimmste am Trainerjob sei es aber, einem Spieler mitteilen zu müssen, dass er nicht aufgestellt werde. Hat vielleicht gut trainiert, besser als sein Konkurrent, und trotzdem gebe es manches Mal Gründe, dass man lieber jemand anderen aufstelle. Das sei hart, aber da müsse man als Trainer nun mal durch. Wenn er länger drüber nachdenke, sei eigentlich nicht diese Aufgabe das schlimmste am Fußball, sondern die Eltern der Spieler. Die müsse man bändigen und das sei allzu oft überhaupt nicht möglich. Die Eltern der eigenen Spieler wohlgemerkt.

Gedankt werde einem das ganze Trainersein auch von niemandem, wenn man gefeuert wird, macht eben jemand anderes den Job. Wer sich nach oben durcharbeiten wolle, der habe einen langen Weg vor sich, wenn er nicht als Ex-Profi direkt irgendwo einsteige. Und am Ende könne man dann doch nicht mehr allzu viel beeinflussen, wenn das Spiel läuft. Ob Uerdingen heute noch ein Tor schießen wird: Kann der Trainer da was für oder nicht?

Wohl nicht.

Spritgeld bekomme man vielleicht, auch schon mal eine Aufwandsentschädigung, aber nicht viel mehr. Und je höher man trainiere, desto weiter die Fahrten. Wer am Sonntag um 11h in Siegen Anstoß hat, muss eben schon vor 7h aus den Federn. Das mache man zwar gerne, sonst würde man es ja nicht machen, aber richtig Freude ist das auch nicht. Und natürlich brauche man eine Partnerin, die das alles mitmacht. Schließlich mache man das alles ja neben seinem normalen Job: drei Mal Training in der Woche, am Wochenende Spiel.

Wer nicht klarkomme damit, dass ständig von den Spielern an der Autorität des Trainers gegraben werde, der solle vielleicht besser erst gar nicht mit diesem Job anfangen. Und dass gegraben werde, das sei so sicher wie das Amen in der Kirche. Denn man habe ja immer mindestens die Nr. 12 bis Nr. 15 im Kader, die unzufrieden seien. Andererseits könne man sich auch mit weniger Härte in die Autorität des Amtes flüchten. Einer muss es halt entscheiden, wer spielt, und das sei nun mal der Trainer.

*

Vom Spiel selbst verpasste man durchs Schwätzchen halten nicht viel, denn obwohl Uerdingen erdrückend überlegen war, passte die Zahl der Torchancen noch an die Finger einer Hand. „Kein gutes Spiel“, befand auch der Profi im Spielbewerten und dann trennte man sich kurz vor der Halbzeit wieder, er wollte ja das Spiel schauen und man selbst noch wenigstens ein Mal an den Uerdingern auf der Haupttribüne vorbei. Die gaben nicht auf, zu singen, ganz im Stile der Ultras, und so machte sich immerhin Fußballatmosphäre breit. Denn die wenigen Hundert sangen zusammen immer noch so leise, dass man die Anweisungen des Schiedsrichters und der Spieler untereinander wie auch den einen oder anderen Fluch verstehen konnte. 0:0 zur Pause, wahrlich keine Partie für Feinschmecker, aber eben Fußball.

Womit auch gleichzeitig klar wurde, dass man über derartige Ligen hinaus nur auf drei Wegen existieren kann:

a) ein Verein verfügt über viele Zuschauer
b) ein Verein verfügt über einen potenten Mäzen oder Sponsor
c) ein Verein hat mit Glück eine äußerst gute Generation noch nicht weggekaufter Spieler zusammengesammelt

Wobei im Falle von c) schon sehr bald b) oder a) vorhanden sein müssen, sonst setzt auch dort der Ausverkauf ein. Im Prinzip völlig frustrierend für alle Vereine, die wissen, dass sie weder a) noch b) besitzen, so wie es bei den Sportfreunden Hamborn 07 der Fall ist. Während der anrückende Gegner aus Uerdingen über a) und b) verfügt, was zusammen dann eben die Eingangs erwähnte Bilanz von 15 Siegen aus 16 Spielen ergibt.

Weshalb ein im Anschluss an die Partie befragter Hamborner Mittelfeldspieler auch ganz richtig mit seiner Einschätzung lag, über die spät zustande gekommene Niederlage nicht allzu enttäuscht zu sein, schließlich habe man gewusst, was die Mannschaft heute erwarte. Und man habe sich mehr als achtbar aus der Affäre gezogen.

Außerdem sei für ihn, Mitte 20, der Zug abgefahren, noch etwas höherklassig zu spiele. Er spiele in Hamborn, weil er schon seit über 10 Jahren hier sei, die Stimmung in der Truppe gut sei und er das Ganze nicht als Beruf begreife. Geld gäbe es auch keines, sagt er zumindest, während der eine oder andere Uerdinger durchaus schon vierstellig verdiene. Da könne man sich ausrechnen, wie die Kräfteverhältnisse auf dem Platz seien. Drei Mal pro Woche Training, in dieser Woche vor dem Spiel gegen Uerdingen mehr Taktik als sonst, schließlich müsse man über 90 Minuten verteidigen.

Eigentlich nicht schlecht gelungen, aber leider nur eigentlich. Dann schnell duschen, damit man sich nicht erkältet, denn es herrschte bestes Fußballwetter, an diesem Samstagmittag, wie schon erwähnt.

In der zweiten Halbzeit wurden die Spielrichtungen getauscht, nun also auf der anderen Seite hinter den Toren stehend. Und dabei die eine große Hamborner Chance erleben, die beim Stand von weiterhin 0:0 den Verlauf auf den Kopf hätte stellen können. Vom Sechzehner ins lange Eck gelupft, der Torwart schon geschlagen, da lag sie im Wortsinne für einige Zehntelsekunden in der Luft, die Sensation. Dann schlägt der Ball aber auf dem Tornetz ein, 15 Zentimeter zwischen Glück und dertrainerwirdinfragegestellt. Kein Tor.

*

Zur Rechten, 66-jährig, Rentner, schwerhörig und mit Hörsturz auf einem der beiden Ohren. Trotz Hörgerät hört er kaum noch was. Aber genug, um Auskunft geben zu können. Sehr früh morgens hätte er angefangen zu arbeiten. Um 5h. Dann war er um 13h schon wieder zu Hause und hat sich schön in den Sessel plumpsen lassen. Blues hört er so gerne. Blues oder Blues Rock, und dann habe er immer richtig gute Laune gehabt und sich in Feierabendlaune gefühlt. Volle Pulle die Kopfhörer, wegen der Nachbarn, aufgedreht, Blues oder Blues Rock.

Leider sei er dabei dann fast immer eingeschlafen, aber die Kopfhörer liefen extrem laut weiter mit Musik. Deshalb heute die Schwerhörigkeit. Der Hörsturz kam vielleicht einfach so, weiß man nicht. Aber Hamborn 07, da geht er immer hin. Und arbeiten kann er ohnehin schon länger nicht mehr.

Zur Linken, 85-jährig, Rentner, Jahrgang 1927. Mit 17 noch in den Krieg geschickt worden, man glaubt es nicht, dass immer noch Menschen leben, die gegen Russland kämpften oder gegen alliierte Flugzeuge, in der Jugend nichts anderes als Nazi-Propaganda in der Schule und trotzdem — anscheinend — ein normaler Mensch geworden. So normal, dass er mit 85 noch zu den Sportfreunden Hamborn 07 erscheint. Das sei ihm wichtig. Nach dem Spiel müsse er aber heim, nicht mehr die Puppen tanzen lassen, witzelt er. Kennt die Glanzzeiten der 07er noch, ist nie hier weggezogen, war nur mal in Gefangenschaft bei den Kanadiern. Aber schnell wieder zu Hause und dann 50 Jahre unter Tage. Ist aber auch schon lange her.

*

Dann fällt doch noch das 1:0 für Uerdingen. Auf den Rängen kaum Entsetzen, keine Resignation, als hätte man hier schon alle Tore der Welt fallen sehen und auch in allen letzten Minuten, die Spiele haben können. Schön wär’s gewesen. War es aber nicht, für Hamborn. Dann eben keine Punkte. Wer spielt wie Albanien, darf nicht allein nichts zulassen. Bei dem, was er dann doch zulässt, muss dem Gegner auch noch Pech am Stiefel kleben. Wörtlich und auch nicht so wörtlich.

Das war in dem Moment nicht der Fall, als Issa Issa für Uerdingen traf. Seines Zeichens libanesischer Ex-Nationalspieler. Dass man im Libanon überhaupt Fußball spielt, fragt man sich noch, da gehen sich schon auf der Seite vor der Haupttribüne zwei Uerdinger und ein Hamborner an die Gurgel, allerdings eher harmlos. Für Hamborn gibt es Gelb, für einen Uerdinger Rot. Sind die Uerdinger Anhänger nicht so begeistert von, aber da man jetzt 84 Minuten lang auf die Führung gewartet hatte, diese eingetroffen war und es nach keiner Sensation mehr aussah, nahm man auch die Rote Karte ähnlich lässig hin wie der Hamborner Anhang das Gegentor. Am Ende gewinnt der Favorit, äußerst schmucklos, in der Tabelle sieht man das aber nicht.

PS: Warum das Ganze den Titel „Auf Küppersbuschs Spuren“ trägt? Friedrich Küppersbusch, der gewitztere der beiden Sonneborns, hatte in den 1990ern in der Sendung „Privatfernsehen“ (die nur so hieß, aber im ÖR gesendet wurde) eine Saison lang von den Spielen des damaligen Landesligisten Hamborn 07 berichten lassen. Erstellt wurden die Beiträge von Tom Theunissen, in der Sendung von Küppersbusch aber im Rahmen des Löwenreports zu sehen, angelehnt an den Beinamen „Hamborner Löwen“. Was wieder eine dieser Skurrilitäten mit sich bringt, dass das Wappen von Hamborn 07 einen Adler zeigt, während der Spitzname — nun ja, es wird sicher eine plausible Erklärung geben. In Uerdingen kennt man bekanntlich nur den Grotifanten.

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Trainer Baade liest sein neues Programm:
„Drama Queens in kurzen Hosen“


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Das DJäzz befindet sich in 5 Fußminuten Entfernung vom Hauptbahnhof Duisburg.

„Drama Queens in kurzen Hosen“ lautet der Titel des Programms, nicht Ihr sollt als Drag Drama Queens in kurzen Hosen erscheinen. Und in der Halbzeit gibt es noch ein kleines Gimmick für die Besucher, aber es wird natürlich noch nicht verraten, was für eins. Ich freu mich auf Euch. Einige unveröffentlichte Texte sind auch dabei …

Trainer Baades neues Lese-Programm „Drama Queens in kurzen Hosen“ ist rund, damit seine Texte die Richtung ändern können. So wie der Fußball, auf dem Platz und abseits davon, immer wieder mal neue Wendungen nimmt.

Mit dem Blick für die kleinen Widersprüche und die großen, echten Emotionen der Spieler und der Fans betrachtet er den Sport, von dem noch jeder glaubt, ihn erklären zu können. Doch kaum jemandem gelingt dies so gewitzt und kurzweilig wie Trainer Baade. Findet auch das Fachmagazin „11Freunde“, das sein Blog jüngst zum „Besten Fanmedium“ in Deutschland kürte und auch die FAS, die nicht zufällig von ihm „viel über Fußball gelernt“ hat.

Zwei Halbzeiten lang Geschichten über die großen und kleinen Dramen des Fußballs, immer gewürzt durch den scharfen Blick und die ebenso spitze Feder von Trainer Baade.

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Belebende Aufgaben

Thomas Strunz wirbt auf Plakaten der Duisburger Stadtwerke für den Einsatz von Defibrillatoren. Die liegen an hochfrequentierten Orten der Stadt mittlerweile herum und sollten im Fall der Fälle zum Einsatz kommen. Was natürlich nur geschieht, wenn genügend Leute von ihrer Existenz wissen. Eine tolle Sache also von Thomas Strunz, dafür Pate zu stehen.


[photopress:thomas_strunz_wirbt.jpg,full,centered]

Allerdings muss er Derartiges auch tun, anderenfalls stünde er ganz schön im Minus, wenn er dereinst an Petrus‘ Himmelspforte anklopfen wird. Denn während er im obigen Fall die Herzen der Mitbürger retten will, wird er auf der anderen Seite nun jeden dritten Sonntag Morgen in einer Gesprächsrunde sitzen und zwangsweise etwas polarisierend sprechen müssen, im Wechsel mit Mario Basler und Thomas Helmer, die alle drei zusammen den weisen („Neid, Missgunst“) Udo Lattek ablösen. Die Namen an sich sprechen schon für ausgewogene, faire Berichterstattung und auch wenn Thomas Strunz ganz bestimmt nicht Ausfälle in Richtung „Ritterkreuz mit Eichenlaub“ wie sein Vorgänger erleiden wird: Zur Beruhigung und Schonung des Zuschauers ist diese Sendung sicher nicht gedacht.

Hoffen wir am Ende auf eine schwarze Null, wenn Petrus einen Blick auf die Gesamtbilanz von Thomas Strunz werfen wird.

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New York, Madrid, Heilbronn oder
Warum ein Finale in Berlin doch ganz ok ist

1. Nirgendwoanders wäre es so sicher, dass das eigentliche Heimteam nie ins Finale einzieht. Herthas letzte Finalteilnahme datiert aus dem Jahr 1979. Die anreisenden Fans können sich also schon auf den Autobahnraststätten aneinander gewöhnen, in der Stadt selbst bleibt es garantiert friedlich.

2. Die Atmosphäre im Olympiastadion ist wider Erwarten bei ausverkauftem Haus — welches das Stadion meint, kein Haus — mehr als akzeptabel. Man hätte sein erstes Spiel im Olympiastadion vielleicht nicht gerade vor Jahren als Zeuge der Partie Hertha BSC — VfL Bochum verbringen sollen, dann wäre man jetzt nicht so überrascht davon. Nicht ganz unerheblich für die gelungene Atmosphäre ist auch der Einbruch der Dämmerung und anschließende Dunkelheit („Nacht“) am Austragungsort, weshalb der Autor auch von seiner Forderung „Pro 18h“ zurücktritt. Das gilt für jene Fälle, in denen der Autor selbst vor Ort ist.

3. Es gibt nun mal nur ganz wenige Städte, deren Namen aus nur zwei Silben bestehen, von denen die zweite Silbe betont wird. Hier die bescheidene Liste der deutschen Städte, die deshalb als Alternative per se ausscheiden:

Dórtmund, Bóchum, Schálke, Brémen, Hámburg, Núrnberg, Fréiburg, Wólfsburg, Róstock, Fránkfurt, Stúttgart, Múnchen, Áachen, Dúisburg, Éssen, Múnster, Áugsburg, Léipzig, Drésden, Mánnheim, Bráunschweig, Chémnitz, Kréfeld, Hálle, Érfurt, Kássel, Hágen, Múlheim, Pótsdam, Wúrzburg, Bóttrop, Rémscheid, Kóblenz, Jéna, Síegen, Cóttbus.

Es kämen einzig in Frage an anderen weltweit relevanten Städten: New Yórk, Madríd und eben das bereits ausgewählte Berlín. Da ist Berlin auch aus ökologischer Sicht die beste Wahl.

(Okay, New York, Madrid, Berlin — und Heilbrónn. Das Frankenstadion dort hat zwar einen schönen Namen, ist aber leider nicht pokalfinaltauglich.)

4. Nur die Berliner S-Bahn kann derartige Fanaufkommen, wie sie bei einem ausverkauften Olympiastadion auftreten, bewältigen. (Da Nörgeleien über langsame Abfertigungen nach Spielende etwas zäh zu lesen sind (und außerdem eher janus‘ Metier sind), endet dieser Punkt hier. Schließlich ist es das erste Mal in Berlin gewesen, dass 75.000 Menschen nach Abpfiff vom Stadion wegwollen, also sollten auch 1-2 S-Bahnen alle halbe Stunde ausreichend sein, klar.)

5. Die Fangruppen fallen in der Stadt enorm auf, egal, wo man seinen wagemutigen Aufenthalt in Berlin beginnt. Ob Bahnhof Zoo, Warschauer Straße oder Sophie-Charlotte-Platz, überall begegnen dem Reisenden Fans der beiden Mannschaften, die dann stark aus den übrigen Umherlaufenden herausstechen. Das hat zwei Gründe: a) Fußball spielt an den anderen 364 Tagen im Jahr in Berlin keine Rolle, b) gerne getragene und dementsprechend gepflegte Fußballtrikots stellen intakte Oberbekleidung dar.

[photopress:pokalfinale_in_berlin_bvg_wir_danken_dir_1.jpg,thumb,alignleft] 6. Nirgends kann man so herrlich unbequem seine EC-Karte loswerden wie bei der BVG. Ist es bei Geldautomaten seit Jahrzehnten Usus, das Geld erst rauszurücken, wenn der Kunde seine EC-Karte aus dem Automaten entnommen hat, um so täglich Tausende an neuen EC-Kartenanträgen zu vermeiden, fährt man in Berlin eine gegensätzliche Strategie. Dort wird man nach Bezahlung am Fahrkartenautomaten extensiv darauf aufmerksam gemacht: Billet nicht vergessen! Eine Empfehlung, der der Autor gerne folgte, ganz glücklich in die U-Bahn sprang, um nur wenig später genauso glücklich mit der EC-Karten-Sperrungsstelle zu telefonieren. Kein Geld = keine Sorgen, eine geschickte Einfädelung der Stadt Berlin und ihrer Verkehrsbetriebe eines völlig unbeschwerten Pokalfinalaufenthalts. Zudem lernt man ohne Kohle in den Taschen auch gleich das Berliner Lebensgefühl sehr anschaulich kennen.

7. Franziska van Almsicks Anreise zum Stadion wäre nirgendwo anders so kurz, nur in Berlin also kann sie barfuß zur Pokalverleihung erscheinen. Und darum geht es schließlich beim Fußball: um die Füße.

 
 
 
 

photo credit: fudj

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SchildDuisburger Farce, Lokal-Content

Es geht dabei („Lokal-Content“) aber nicht um Gaststätten, andererseits eben doch.

In Duisburg ist der Fußball trotz des neuen Stadions und einer besonders diese Bezeichnung verdienenden „Multi-Kulti-Truppe“ auf dem Platz — seit Jahren allerdings in ständig wechselnder Besetzung — immer noch ein Stückchen näher am Klischee über Fußballfans, als er das in vielen anderen deutschen Städten ist. Der MSV war nie schick, und so gibt es neben den örtlichen Fans kaum jemanden, dessen Kontostand etwas höher ist als der des gemeinen MSV-Fans, der sich in irgendeinem Glanz des Fußballvereins sonnen können wollte. Denn es gibt keinen Glanz. Nicht mal jenen vergangener Erfolge. Noch titelloser als der MSV („Deutscher Amateurmeister 1987″) ist schließlich nur noch der VfL Bochum.

Hier gibt es immer noch ausgemacht bildungsferne Interessenten im Publikum, viele zahn-, aber nicht nörgellose Opis, sich während eines Spiels besonders aggressiv und vulgär gerierende Männer in ihren 40er und 50er Jahren auf den Tribünen, und das Argument von Hermann Gerland, warum er nicht beim MSV anheuern wolle, ist immer noch gültig: Fast nirgendwo gibt es ein kritischeres, pfeiflustigeres Publikum als beim MSV, wo der kleinste Fehlpass nicht akzeptiert wird und man beim Stand von 2:1 für den MSV sicher davon ausgehen kann, dass der Mob am Ende schreiend und lamentierend ob der zwei späten Gegentore nicht sofort nach Hause geht, sondern die Mannschaft erst mit einem intensiven Pfeifen in die Kabine schickt, bevor man sich schimpfend zur Straßenbahn begibt.

Zumindest war das bis vor zwei, drei Jahren so. In letzter Zeit scheint sich dies ein wenig geändert zu haben. Sicher sein kann man sich allerdings nicht, dafür ist der sportliche Erfolg zur Zeit zu groß, die unglücklichen wie auch die verdienten Niederlagen sind zu selten, um ein zuverlässiges Urteil darüber fällen zu können, ob der durchschnittliche MSV-Fan mittlerweile ein wenig gnädiger geworden ist, vielleicht auch etwas mehr mit sich selbst im Reinen, weil er nicht mehr unter Tage Kohle kloppen oder ausmergelnderweise Stahl kochen muss.

Über die Ursachen dieser besonderen Galligkeit der Duisburger Zuschauer kann man sicher lange sinnieren, hier fehlen die soziologisch angehauchten Einblicke in die echte Duisburger Fanseele (man ist schließlich nur Zugezogener …), selbst bei einer erst kürzlich durchgeführten empirischen Studie in den Kneipen von Marxloh, Bruckhausen, Ruhrort und Kaßlerfeld konnte nichts besonders Bemerkenswertes festgestellt werden, abgesehen von den Tatsachen, dass MSV-Fans völlig überrascht sind, wenn man sich als (in dieser Kneipe) Fremder für den MSV interessiert und davon, dass diese Menschen plötzlich unglaubliches Redebedürfnis an den Tag legen. Selbst dann, wenn der Abend noch sehr jung und deshalb trocken ist. Ein tief eingebranntes Minderwertigkeitsgefühl schien unüberhörbar zu sein, doch gibt es berechtigte Zweifel, ob das bei Klubs wie Schalke, Oberhausen, Bochum oder Essen anders ist.

Es fehlt möglicherweise einfach das Interesse einer gänzlich anders motivierten Schicht, derer man sicher nicht wenige in Dortmund oder vielleicht in Bremen erleben kann, wo man gerne kommt und sich zuwendet, wenn der Verein mal etwas gewinnt. Da Dortmund das Glück hatte, gerade 1995 und 1996, als der Fußball immer mehr reingewaschen wurde und die Fernsehpräsenz ins Unerträgliche stieg, zwei Mal Meister zu werden, dürfte der Anteil derartiger Fans in Dortmund nicht allzu gering sein. Solch eine auch nur theoretische Möglichkeit fehlt natürlich beim MSV Duisburg, weshalb er zwar in seiner Hymne schön die „Zebrastreifen weiß und blau“ besingen darf, das Schimanski- und Stahlwerk-Grau aber auch nach längstmöglichem Aufenthalt in der psychologischen Schwarzkaue nicht abwaschen kann.

Die von mir einst als dümmsten Fans der Welt bezeichneten MSV-Fans zeigen nun aber erstaunlicherweise im Wortsinne Herz. Denn es gibt in der nur vermeintlich Love-Parade-geschlagenen Stadt (sie war auch vorher schon geschlagen) eine für ihre Größe äußerst maue Kulturszene, selbst wenn man den MSV da nicht mitzählt. Die Gründe dafür mögen die selben sein wie jene für den geringen Anklang des MSVs generell beim hiesigen Publikum. Zu große Konkurrenz in den sehr nahe liegenden anderen Städten (es ist durchaus Usus, von Duisburg aus zum Weggehen nach Dortmund oder nach Köln zu fahren, und das nicht nur in besonderen Ausnahmen; Düsseldorf, Essen, Oberhausen sind sogar ganz normaler Standard dabei), aber auch das mangelnde Interesse der hier Lebenden an kulturellen Veranstaltungen. Ziemlich analog also zur Lage des MSV: entweder man interessiert sich ohnehin nicht für Fußball oder Kultur, und falls doch, sind die Angebote woanders (Schalke, Gladbach, Dortmund bzw. Ausgehen in Köln, Dortmund, Düsseldorf) eben besser als zu Hause.

[photopress:logo_djaezz.jpg,full,alignleft] Eines der wenigen akzeptablen Kulturangebote ist das DJäzz, welches mitten in der Innenstadt liegt und demgemäß auch von einigen Wohnhäusern umgeben ist. Und um die ohnehin schon bescheidene kulturelle Szene in Duisburg nun weiter zu beschneiden, hat die Stadt diesem Club, der keine reine Disco, sondern vor allem auch Konzertveranstalter für unbekanntere Bands sowie Session-Abende ist, aufgrund von Beschwerden einiger weniger Anwohner über den entstehenden Lärm nun die Auflage gemacht, nur noch bis 1h in der Nacht öffnen zu dürfen. Dass das den wirtschaftlichen Tod eines derart kleinen Unternehmens bedeutet, dürfte auf der Hand liegen, sind doch die am Wochenende durchgeführten Parties am späteren Abend jenes Mittel, mit dem die oft, aber nicht nur, unter der Woche stattfindenden Konzerte querfinanziert werden können, ganz abgesehen davon, dass dem Betreiber auch noch Geld zum Leben übrig bleiben muss. Er klagte in Düsseldorf gegen diese Entscheidung des Duisburger Ordnungsamts und verlor. Woraufhin er ankündigte, den Laden in Kürze schließen zu müssen, da der Betrieb nicht mehr finanzierbar sei.

Dieses Geschehen mutet ähnlich verquer an wie die Diskussionen und Klagen in Freiburg, als eine Handvoll Anwohner sich damit durchsetzen wollte, das Stadion in Freiburg nicht zu erweitern, weil die Lärmbelästigung bei gerade mal schlappen 17 Heimspielen in der Bundesliga (von 52 (!) Wochenenden) so unzumutbar groß sei (hier fehlen allerdings genauere Informationen, dies ist nur aus der Erinnerung formuliert). Die Interessen der zwischen 25 und 30-Tausend Menschen, die diese Veranstaltung aber besuchen wollen, sollten also weniger wiegen als die Interessen von einiger Hände voll Anwohner, die noch dazu nur zu wenigen Stunden von den 8760 Stunden eines Jahres belästigt würden. Hanebüchen, nicht wahr?

Ebenso hanebüchen ist nun die Entscheidung des Ordnungsamtes Duisburg, das das Interesse einiger weniger Bürger an ungestörter Nachtruhe über jene von Hunderten bis Tausenden stellt, die sich am Wochenende und auch unter der Woche in diesem Club amüsieren möchten, wie vor allem jener, die für ihre musikalischen Werke Bühnen benötigen. Dabei muss hinzugefügt werden, dass es nicht um den Lärm der eigentlichen Beschallung des Clubs geht, denn dieser ist ausreichend gedämmt. Es geht einzig um den Lärm, den den Club verlassende oder sich sonst vor dem Club aufhaltende Besucher des Ladens mitten in der Nacht verursachen. Das Schildbürgerartige daran ist aber, dass das Ordnungsamt es nie für nötig gehalten hat, eine Lärmmessung vor Ort durchzuführen. Der Club selbst ist mit extra darauf achtenden Türstehern (das Wort klingt so böse, es sind keine typischen „Türsteher“, sondern eben Mitarbeiter des Clubs) gegen die natürlich unnötigen Lärmquellen auf der Straße vor dem Club vorgegangen. Die Stadt hingegen hält es nicht für nötig, die Vorwürfe einiger Bürger mit der Realität abzugleichen und zerstört lieber ungehörten Ohres die wirtschaftliche Existenz des Betreibers sowie ihr eigenes kulturelles Angebot. Das DJäzz erhält keinen Cent an Kulturförderung von der Stadt, sondern trägt sich selbst — und ist wie schon mehrfach erwähnt, einer der abwechslungsreichsten Veranstaltungsorte in seinem Metier.

Und hier kommt dann ein weiteres Mosaiksteinchen ins Spiel, das darauf hindeutet, dass sich die Struktur der Zuschauer beim MSV tatsächlich ein wenig gewandelt haben könnte. Denn die MSV-Fans präsentierten beim letzten Heimspiel ein Banner in der Kurve, in welchem sie den Erhalt eben jenes DJäzz‘ forderten.


[photopress:msv_pro_djaezz.jpg,full,centered]

(Bild von Mike Städel.)

Dazu muss man wissen, dass der Name des Ladens tatsächlich Programm ist, neben Jäzz gibt es hier auch oft House oder elektronische Musik im Programm. Nicht wenige MSV-Fans positionieren sich also für den Erhalt eines Clubs, der einer Musikrichtung Bühne bietet, die nicht für Aggressivität bekannt ist — möglicherweise ist dieser vermeintliche Wandel der Publikumsstruktur aber auch gar kein realer, sondern er war einzig im Kopf des Autoren nötig. Die frühen 00er-Jahre im Stadion sprechen zwar eine andere Sprache, dennoch ist eine solche Gelegenheit, ein solches Beispiel sehr willkommen, an den eigenen Klischees zu drehen und sie neu zu justieren.

Um die ferner ab lebenden Leser nicht weiter mit nur lokal relevanten Inhalten zu langweilen, hier also der kurze Hinweis: Die erste von vielen noch folgenden Protestaktionen und Demos geschieht heute, Montag, um 14h vor dem Duisburger Rathaus, initiiert zufälligerweise vom Torwart meines ehemaligen Teams, der gleichzeitig auch Musiker ist. Die Haupt-Demo ist für die nächsten zwei Wochen geplant, und soll den Zuständigen nicht nur den Widerstand, sondern auch die Zahl der Interessenten am Progamm des DJäzz‘ demonstrieren.

Tausende Interessenten gegen die Interessen einer weniger Anwohner, welche ja nicht vollkommen ohne Entscheidungsfreiheit in die Innenstadt gezogen sein dürften.

In Freiburg durfte man das Stadion am Ende schließlich auch noch ausbauen …

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Hitler an der Wedau

Da geht man schon so lange hin und hat doch noch nie davon gehört: Hitler hielt mal eine Rede im Wedaustadion — angeblich vor 120.000 Besuchern:

Schon vor der Öffnung des Stadions um 12 Uhr haben sich Schlangen vor den Eingängen gebildet. (…) Die Veranstaltung beginnt um 14 Uhr mit einem über einstündigen Aufmarsch von SA- und SS-Truppen. (…) Als anschließend Hitler vor die begeisterte Masse tritt, „erbraust minutenlang ein Orkan des Jubels gen Himmel“, berichtet am nächsten Tag die „Nationalzeitung“, das Presseorgan der NSDAP. (…) Unter den Klängen des Wessel-Liedes leert sich das Stadion ohne Zwischenfälle. (…) Bei der darauffolgenden Stadtverordnetenwahl wurde die NSDAP die stärkste Partei im Duisburger Stadtparlament.

Ganz schön geschichtsträchtig, diese neuerdings Schauinsland-Reisen-Arena genannte Stätte …

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