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400 Meter gespart

Früher gingen die Medienmenschen auf die Straße vor ihrem Sendegebäude, um ein paar Stimmen von Unbeteiligten, nicht in der Materie steckenden Menschen zu irgendwelchen Themen einzufangen. Der Sinn war schon damals fraglich für den Rezipienten dieses Blähblähs aus der Fußgängerzone.

Oft wollte sich keiner so richtig zeigen, dann musste man neben den 4 Stockwerken runter auf die Straße auch schon mal 200m links und 200m rechts rumstromern, bis man insgesamt sieben Leute befragt hatte, von denen dann zwei oder drei Stimmen in der Sendung Platz fanden, ob nun TV oder Radio. Natürlich völlig unrepräsentativ ausgewählte Leute, noch dazu nur jener Teil der Menschheit, der grundsätzlich bereit ist, vor Kameras und Mikrofonen zu sprechen. Abgesehen davon, dass man eben eine originäre Stimme von der Straße hatte, nun mal ohne jeden Informationsgewinn.

Heute spart man sich die 400 Meter, geht noch unrepräsentativer vor und lässt sich von der allgemeinen grassierenden Witzelsucht in den witzfernsten Sendungen anstecken. Heute liest man Tweets vor, mit einem Mehrwert für den Rezipienten einer Sendung, welcher noch deutlich kürzer als 140 Zeichen ist. „Ach, Schalke!“ war dann heute so ein ausgewähltes Exemplar von Tweet mit immensem Nutzen für die Hörer, geradezu grotesk besser als alles, was den Moderatoren selbst hätte einfallen können, geschweige denn einem professionellen Gagschreiber.

Im Studiosessel isses eben bequemer als auf der Straße. „Ach, Schalke!“ — was haben wir gelacht.

8 Kommentare

  1. the blind piper the blind piper

    Hatte ganz ähnliche Gedanken als ich heute nach geraumer Zeit mal wieder die Liga Live im WDR verfolgte. Ums mit Grönemeyer zu sagen: „Was soll das…“

  2. was soll auch dabei raus kommen, wenn manche Medien auf Gedeih und Verderb Social Media einbinden wollen, um damit, nach ihrer Meinung, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten und umzusetzen?

  3. Rufer Rufer

    Ich hab das bislang auch nicht verstanden, was daran irgendwie unterhaltsam sein soll, seine Sendezeit von – meistens ja – Experten mit dem Vorlesen von irgendwelchen billigen Witzchen zu verschwenden. Die Fußballsendungen sind doch dafür da, über das Spiel zu berichten, nicht über die oft total würgigen Meinungen und Äußerungen der Fans. Genau dafür, dass das jetzt nicht mehr nötig ist, gibt es doch diesen Kram wie Twitter und Facebook. Ausgerechnet das dann vorzulesen ist doch ein absolutes Eigentor. Hoffentlich nur eine Mode, so wie Neonjacken, die schnell wieder vorbeigeht. Ich brauche jedenfalls keine Tweets von Fans in Fußballsendungen – ich will etwas über das/die Spiel/e erfahren. Ist doch eigentlich logisch, oder nicht? Wie gesagt, ist hoffentlich nur eine Mode, die schnell vorbeigeht.

  4. Ich denke, es ist hauptsächlich der Wunsch, auszudrücken, dass man „aktuelle“ Trends nicht verpennt. Man ist/sei auch im TV oder Radio noch hip, was aktuell eben „social media“ bedeutet, man wird keinen Trend verpassen, obwohl die Kids jetzt alle woanders rumhängen. Irgendeine Art von Existenzangst.

    Sinnvoll ist es sicher mal bei dem einen oder anderen wirklich geistvollen oder von mir aus auch unterhaltsamem Tweet, welche aber eher die Ausnahme darstellen. Was das ganze so tragisch macht, dass es in den seltensten Fällen sinnvoll ist.

    Bei WDR2 liest man lieber Tweets wie „Ach, Schalke!“ vor, als sich mit Berichterstattung zu beschäftigen. Schon sehr kleinwurstig.

  5. Dominik Dominik

    @ Rufer: Neonjacken? Wann war dass denn?
    Das Vorlesen von Tweets oder Facebookeinträgen find ich auch ziemlich sinnlos. Selbst sie Kommentare von mehr oder minder Prominenten (Max Goldt nennt sie dann „Kommentarwichsmaschinen“) sind ja nicht wirklich wichtig, was soll dann das Vortragen von anonymen Meinungen. Zeiten sind das…

  6. netzberg netzberg

    Against modern Mediafootball!
    It´s only the Match and Fanatics!

  7. Ich glaube nicht, dass dahinter bloß das Bestreben steht, „hip“ zu sein – auch wenn das bestimmt ein Nebeneffekt ist. Der Trainer deutet ja an, dass das Tweetslesen in erster Linie ein moderner Fortläufer eines schon lange etablierten Programmbestandteils ist. Früher hielt man Leuten im Publikum oder – wie im Beispiel des Trainers – auf der Straße ein Mikro unter die Nase, ließ sie anrufen (siehe „Dopafon“) oder verlas Zuschauerpost, später E-Mails. Das war ja genau so sinnfrei und langweilig, gaukelte dem Zuschauer aber eben Interaktivität und „Basisnähe“ vor. Gerade bei Fußballsendungen versucht man sich so wohl den in Deutschland so wichtigen Stallgeruch zu verpassen.

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