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Niemals zu den Bayern gehen

Letztens trat die Frage danach auf, was genau es ist, das Mario Gomez Saison für Saison unsympathischer werden lässt. Jemand twitterte, dass er oder sie es so empfände, da fiel mir auf, dass ich mit dieser schleichenden Veränderung des (von sehr hohem Niveau startenden) Wohlgesinntseins nicht alleine bin.

Doch wie kommt’s?

Ein Teil der Erklärung könnte sein, dass man niemals zu den Bayern gehen darf, will man nicht einen Teil seiner Sympathie einbüßen. Anders gesagt: Wer seit jeher schon da ist, wie Rensing, Müller Gerd und Thomas, aber auch Rummenigge 1 und 2, wer vorher gerade mal lokal relevant woanders tätig war, muss nie diesen Schritt öffentlich gehen, der so enorm Sympathien kosten kann.

Neben seinem steigenden — zu Recht zwar-aber — Selbstvertrauen lässt Mario Gomez immer häufiger in Interviews eine gewisse lenaeske Schnippischkeit heraushängen, die unangemessen bis teils arrogant erscheint. Nicht alle Menschen dieser Welt sind für die Schlagzeilen der Zeitungen in Minutenzähl- und Krisenzeiten verantwortlich und auch sein Ferrari im Bauch der Allianz-Arena steht nun mal deshalb da, weil die Menschen solche Zeitungen mit gerne gezücktem Portemonnaie erwerben.

Die positiv zu verbuchende Eloquenz Mario Gomez‘ schlägt dann in die gegenteilige Wirkung um. Weil er sich viel zu demonstrativ herausnimmt, etwas anders zu sein. Er als der intelligente Fußballprofi — dabei dürfte die Quote der absoluten Analphabeten (dies jetzt als Metapher) in den Kadern der Bundesliga seit ihrer Einführung recht gleich geblieben sein — ist überhaupt geistig in der Lage, zu widersprechen, gar zur Süffisanz fähig. Dabei wäre es besonders klug, all jenen Überschriften, die zu Unrecht an seiner fachlichen Qualität zweifeln, mit der bestmöglichen Antwort zu begegnen: Nicht mal ignorieren.

Zweitens wäre da die Frisur. Okay, das ist Ansichtssache, die alte [Link leider tot] hatte mehr Spitzbübisches, irgendetwas hinter den Ohren und vielleicht auch im Nacken. Die neue [Link leider tot] ist durch und durch durchgestylet und lässt keinen Raum mehr für jene Nahbarkeits-Phantasien, dass man ihn auch auf dem Dorfplatz um die Ecke treffen könnte und nach der Partie mit ihm ein Schnitzel essen geht. Denn ins P1 kommt man als Normalo nicht mit rein.

Drittens ist es natürlich sein selten dämlicher Torjubel, der insbesondere seit Erwerb der neuen Frisur (siehe „zweitens“) an Dämlackigkeit nicht mehr zu überbieten ist. Ein Torero will er sein. Ein Torero aus Unlingen. Unlingen liegt bei Bad Saulgau, Dürrenwaldstetten und Biberach an der Riß. Unlingen, von wo aus man den Hausberg Bussen sieht, der Wallfahrtsort für ganz Oberschwaben ist. Oberschwaben — nicht Andalusien.

Gewiss, die Existenz eines spanischen Vaters ist unbestritten ein legitimer Anlass, sich spanisch zu gerieren, ohne dass es manieriert wirken sollte. Tut es aber. Es sagt nicht nur, ich bin zwar hier in Bayern oder damals beim Vauäffbäh zu Hause, aber so ganz dann doch nicht. Ich nehme zwar gerne Euer Eintrittsgeld, und doch bin ich keiner von Euch.

Es ist nicht seine Schuld, dass Gesten wie jene von Menschen, die gerade nur zum Spiel und für ein bisschen Männlichkeitsgedöhns einen Stier töten, in Ländern, in denen man keine Stierkämpfe kämpft, lächerlich und aufgesetzt wirken. Es ist aber seine Schuld, dies nicht zu erkennen und seinen blasierten Torjubel beizubehalten.

Viertens mag es die Tatsache sein, dass seit seiner wiedergewonnenen Treffsicherheit ein jedes seiner Tore bedeutet, dass ein Sieg der Bayern in einer Partie wahrscheinlicher wird. Was man nun mal als jemand, der ausgemachten Gefallen an Geschichten des Scheiterns gefunden hat, wenn sie in München spielen und mit Klinsmann oder van Gaal besetzt wurden, nicht begrüßen kann. Als er noch nicht gesetzt war, unter Aloysius Paulus Maria, da hatte es kaum Bewandtnis, wie Mario Gomez nun jubelte oder nicht. Vielleicht verwendete er damals auch noch gar nicht seinen lächerlichen Dolchstoß-Torjubel, weil dieser in so einer allgemeinen Phase der Krise doch zu überheblich gewirkt hätte.

Allein dass man sich nicht erinnert, ob er damals schon stierkämpfte oder nicht, beweist, dass damals andere Sachen wichtiger waren. Zum Beispiel die Frage, wie viele Tore der Gegner schoss. Es war also durchaus im Bereich des Möglichen, dass der FC Bayern ein gerade laufendes Spiel verlieren konnte. Mit jedem Mal, dass Gomez‘ Torjubel jetzt in den Mittelpunkt rückt, wird gewisser, dass das Spiel nicht mehr wichtig ist, weil es bereits entschieden ist. Was eben nicht für eine spannende Bundesliga-Saison spricht, egal, wann es passiert.

Fünftens, nicht zu verwechseln mit erstens, fällt es vielleicht auf ihn zurück, dass er mal ein anderer als ein Bayern-Spieler war. Sogar Deutscher Meister war er schon mit einem anderen Verein. Etwas, was nur ganz wenige Bundesligaspieler von sich behaupten können. Aber er ging halt hin zu den Bayern, ohne Not. Und das ist eben immer die Frage, bei allen Neuers, Götzes, Schlaudraffs, Reus: Sie hätten ja auch woandershin gehen können. Wer die Klasse hat, für Bayerns Stammbesetzung eingekauft zu werden, nicht als Füllmaterial wie Petersen, Thiam oder Raymond Victoria, der würde auch in der Premier League unterkommen.

Jemandem, der schon immer da war, Schweinsteiger, Augenthaler, Breitner, kann man das zwangsläufig nicht vorwerfen. Denn diesen einen Makel haben sie sich nicht erlaubt: Zu den Bayern zu gehen.

20 Kommentare

  1. FF FF

    Was für ein schönes kleines Aufsätzlein! Geradezu ein Gomez-Essay.

    Ich finde auch, unser Möchtegern-Torero lehnt sich (wieder) etwas zu weit aus dem Fenster.

    Entschieden wird der Kasus 2012/14. Herr G. läuft für mich auf eine Weggabelung zu: wenn er was reißt, sprich (beide) Titel holt, heißt es „Gomez der Weltstar“. Wenn nicht, kehrt „Gomez die Gurke“ zurück.

    So einfach könnte es werden…

  2. FF FF

    Vorhin vergessen: es gab ja in der deutschen Nationalmannschaft schon mal einen begnadeten Torero-Poser, allerdings nicht aus Unlingen, sondern aus Frankfurt/Mainhattan.

    Parallele zu Gomez: Freunde hat sich dieser Herr, der in den letzten zehn Jahren zwanzig Kilo zugelegt haben dürfte, mit seiner Performance als stolzer Spanier auch nicht gemacht.

    Aber warum sollten ausgerechnet Fußballer aus der Geschichte lernen?

  3. Gundula Gause Gundula Gause

    Sehr schön!

  4. Mario Gomez muss aber noch viele schnippische Antworten geben und häufig zum Friseur gehen (oder auch nicht), um sich auf meiner Bayern-Antipathie-Skala hochzuarbeiten.

    Arjen Robben thront da doch ziemlich unangefochten. Und ansonsten ist es mir noch nie so schwer gefallen, den FC Bayern zu hassen (wie man so unschön sagt). Sollte Marco Reus im Sommer „zu den Bayern geh‘n“ könnte sich das aber schnell wieder ändern.

  5. Müller Müller

    Herr Bade – woher so viel Häme?
    Und dann noch so fachlich – Frisur usw.

  6. Bei mir ist es genau umgekehrt. Seit Luca Tonis Ohrschrauben hab ich keinen Jubel so gerne im Spaß beim Zuschauen nach-/mitgemacht und der Wandel im Interviewstil hat ihn mir WESENTLICH sympathischer gemacht.
    Andererseits ist es natürlich ein gutes Zeichen, wenn nicht mehr überall über seine Fußballkünste hergefallen wird, sondern über Frisur, Interviewstil und (besonders) Torjubel diskutiert wird. ;)

    Die allseits so beliebten Isländer (oder was auch immer für Landsleute es waren) mit u.a. dem Angler-Jubel finde ich z.B. wesentlich affiger.

  7. PatschBella PatschBella

    Ich mag die ja, diese Schnippigkeit. Weil ich, angesichts dummer Fragen von noch dümmeren Sportreportern vollkommene Empathie entwickle.

    Und wegen der Frisur: Der arme Junge hat Locken. Da ist nicht viel zu machen, aber man probiert halt trotzdem rum. (Siehe Bastian „Oha, die werden aber plötzlich grau“ Schweinsteiger)

  8. Knapp vier Jahre, nachdem Campino seinen eigenen Song in einem Interview mit der SZ de facto auf den Müllhaufen der Fußballgeschichte befördert hat (sehr zu Recht übrigens), kramt der Trainer ihn wieder hervor. What happened?

  9. Buesche Buesche

    Och Herr Trainer,

    da lese ich Sie so gerne und häufig und nun sowas.
    Ohne nun eine Lanze für Gomez zu brechen:

    Können Sie mir sagen wie oft er in den letzten Spielen den von Ihnen verachteten Torjubel gezeigt hat?
    Und es würd‘ mich wirklich mal interessieren ob Sie angepasste Interviews den schnippischen vorziehen? Mögen Sie die nichtssagenden, everybody’s Darling Interviews?

    Würde mich freuen wenn Sie mir antworten könnten.

    Grüße,
    Buesche

    P.S. Die Sache mit der Frisur kehren wir mal lieber schnell unter den Teppich, das kann ja jedem mal passieren….

  10. Das wirklich nervige bei Gomez ist aber, dass er sich stets über die Spielweise der Gegner mokiert. Tritt eine Mannschaft sehr defensiv auf, da sie nicht so gerne Gegentore von Gomez bekommt, tritt Gomez indigniert für die Rettung des Fussballs ein.

    Achja, der Torjubel ist sehr affig

  11. netzberg netzberg

    „Billich“: Zeile irgendwo in einem Punksong, oder bei Mutter, dem einzigen Konzert, wo ich raus mußte, weil es mir zu laut war.

  12. boecko boecko

    Ich gehe auch NIEMALS ZU DEN BAYERN.

    Ich fahre da immer mit dem Auto hin. Je nach lokaler Sichtweise (Franken!) bin ich schon dort oder 200km entfernt.

  13. Thor Thor

    Teil 1 erledigt, ich persönlich teile des Trainers Meinung komplett. Interessanter wäre doch eher ein Teil 2. Ist jemals ein Spieler der zu den Bayern ging DADURCH sympathischer geworden (Meinungen von Bayernfans sind da übrigens wegen, öhm, Betriebsblindheit ein klitzekleinwenig irrelevant)?
    Ich kann z. B. nicht genau sagen warum, aber dieses einst zappelige Kind namens Manu Neuer erscheint mir in letzter Zeit ab und an wie ein halbwegs gestandener und ab und zu sogar durchaus witziger, ja fast schon sympathischer Bundesligaspieler. Und auch der Ribbery-Versteher Daniel van Buyten ist in meinen Augen schon lange nicht mehr der ölige Wrestlernachkomme, sondern der unangefochtenen Papa der Kompanie. Und ich gestehe: Die Nominierung des eigentlich komplett farblosen Hans-Jörg Butt als 3. WM-Keeper hat mich im tiefsten Inneren erfreut. Vom Benficas Ersatzbank via CF-Finale zur WM, aschebrödeliger gings doch noch nie zu beim FCB.

  14. matze matze

    Naja ich weiß nicht was hier genau diskutiert wird. Um die Person Gomez geht es doch wohl am wenigsten, oder? Ich denke was unser Trainer hier vorgestellt hat ist ein Fallbeispiel eines typischen „zu-den-Bayern-geher“. Ich finde es interessant mal darüber nach zu denken was es für einen Unterschied macht bei den Bayern groß geworden zu sein oder als „Großer“ dort hin gewechselt zu sein. Zumindest würde kaum jemand über die Frisur von Schweinsteiger und Co. sprechen aber wer von außen zu den Bayern kommt ist halt unter anderer Beobachtung.

  15. Auch wenn ich hier eigentlich viel zu spät komme: Ich finde Gomez unsymptahisch, weil er auf mich wie ein kalkulierender Karrierist wirkt. Nicht in dem Sinne, in dem man das wohl über jeden Profifußballer sagen kann, der das Fußballspielen als seinen Beruf betrachtet, sondern eher im Guttenberg-Wulfferesken Sinne: Gomez wirkt auf mich nicht wie ein Sportler, sondern wie einer, der gern berühmt und reich werden wollte, dann gemerkt hat, dass er eigentlich ganz gut kicken kann und schnell Eins und Eins zusammengezählt hat. Wie er aussieht, wie er redet, wie er sich gibt: Ich erkenne da eigentlich niemals Spaß oder Leidenschaft, sondern immer so eine blasierte Nüchternheit.

  16. Stefan Stefan

    @Oliver: Besser spät als nie. Ich meine ja auch, dass es die fehlende Leidenschaft ist. Unterstrichen durch Frisur und durch leichtes Näseln blasiert wirkende Stimmfarbe. Da macht es schon fast nix mehr aus, dass er zu den bayern gewechselt ist.
    @Matze: Der Unterschied ist, dass es sich die Wechselnden aussuchen können; die Schon-immer-da-gewesenen hatten nie die Chance, die richtige Entscheidung zu treffen.

  17. reflexo reflexo

    Natürlich sind leidenschaftliche Typen wie Iron Maik und Kevin Großkreutz per se schon sympathischer als die nüchternde Tormaschine. 40x im Jahr der gleiche Torjubel. Spinnt wohl. Der kann froh sein wenn er noch bei FK Dynamo Moskau unter kommt.

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