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Geister – Dersierief 6:1

„Il superprognostico“, wie Experten die Paarung Deutschland – Aserbaidschan schon lange nennen, hielt auch diesmal wieder, was er versprach: Erst machte es für den neutralen Beobachter den Anschein, als könne die Maus der Katze doch entkommen, nur dieses eine Mal. Bis die Katze genug hatte vom Spielen und die Maus nicht mehr jagte, sondern erledigte. Wie in den meisten „superprognosticos“ geschah das schon vor der Halbzeit, womit die zweite Halbzeit dann wieder nur das wurde, was man von Partien gegen Mäuse im späteren Verlauf kennt:

Der Versuch, einen gewissen Kölner, tatsächlich aber Bergheimer Jung in unbedeutenden Statistiken zu puschen. Prinz Poldi muss man immer mal wieder einen Gegner von minderem Kaliber hinwerfen, am besten noch ein Heimspiel, damit er ein bisschen was zu lachen hat, was ihm im Alltag selten vergönnt ist. Wobei Vorwürfe, er würde nur gegen Kleine und vor allem gegen Kleine treffen, so blöd sind wie Ballacks nationales Standing im Keller: Soll er etwa nicht gegen Kleine treffen? Ein Nationalstürmer, der gegen Liechtenstein nicht 3 und gegen San Marino nicht 4 Buden macht, was wäre das denn? (Ein Gomez wohl, aber das ist ein anderes Thema.)

Ein weiterer Bubi zeigte, wo das Problem der neuen, superduper ausgebildeten Generation liegt: Diese vermaledeite Konzentrationsschwäche, zurückzuführen auf die selbständig geführten Facebook- und Twitter-Accounts, die man nun schon direkt vom Spielfeld aus füttert. 90 Minuten Topleistung, das kriegen weder Podolski noch Manuel Neuer im Tor hin, der eins der schönsten Eigentore der jüngeren deutschen Fußballgeschichte produzierte. Wie er auch schon gegen England nicht ganz unschuldig war, auch gegen Serbien nicht völlig machtlos wirkte. Komischerweise äußert trotzdem kaum jemand Zweifel an ihm. Offensichtlich hat man resigniert bei der Hoffnung, aus dieser Generation noch jemanden ohne ADS zu finden.

Der, der die Geister rief, die ihn jetzt nach Belieben ausspielten, der kleine Bördi, ist natürlich nicht von Konzentrationsschwächen geplagt. Vielmehr von einem merkwürdigen, nie enden wollenden Größenwahn: Alles, was im deutschen Fußball seit 1998 passiert ist, geht letzlich auf ihn und sein Betreiben zurück. Bördi, der weise Steuermann, der damals schon die Segel in Richtung Erfolg gesetzt hat. Was übrigens auch erklärt, warum er die deutsche Mannschaft zur Zeit für die beste der Welt hält: Ist schließlich im Großen und Ganzen sein Werk, dieser Özil, dieser Badstuber, dieser Müller. Gedankt wird es ihm „in diesem Lande“ mit 6 Gegentoren und dass er am Abend nach dem Spiel noch von Waldi verarscht wird.

Bliebe der Ersatz-Jünter Mehmet Scholl zu erwähnen, dem Delling am Ende des Abends noch einen Ball zuspielte: „Wir verabschieden uns, ich und Sie, der Podolski-Fan.“ Schweigen. „Was soll ich sagen?“, krähte Scholl nach im Fernsehen endlosen Sekunden der Stille — und Delling gab ihm live Unterricht, wie das geht im TV: „Na, einfach bestätigen.“

Wär dem Jünter nie passiert. Die Pause schon, die Gedankenlangsamkeit auch, nicht jedoch, sich vom Delling vor laufender Kamera etwas erklären zu lassen.

9 Kommentare

  1. Hattrick Hattrick

    Da bin ich ja froh, nicht der einzige zu sein, der Neuer nicht als unverwundbaren Heilsbringer im Tor sah/sieht. Bei der WM hatte ich den Eindruck, dass er vor allem, auf Nummer sicher spielte, dass er vor allem darauf bedacht war, dass Gegentore nicht so aussehen, als hätte er sie verhindern können. Egal …

    Poldi ist nun tatsächlich endgültig in der Kiste gelandet, auf der steht „Braucht vor dem Spiel einen Tritt in den Arsch“ und in der noch ein paar andere vermeintlich minderbemittelte Ghettokicker liegen, die man halt ein bisschen wach provozieren muss, damit der Gegner im Spiel auch ja durch die Wand geknallt wird.

    Die Szene zwischen Delling und Scholl habe ich ganz anders gesehen. Scholl ist auf Dellings hingeworfene Provokation einfach nicht eingestiegen, weil es nicht seine Art ist und weil er damit nichts anfangen konnte. Scholl hat das ja dann auf Dellings Nachhaken noch sehr schön formuliert, dass er mit dem Spieler Podolski nichts anfangen kann, indem er sagte: „Wenn er sein Potenzial abruft, bewundere ich sein Spiel durchaus.“ Ich glaube, das nennt man ein vergiftetes Lob.

  2. […] Gestern durfte er wieder in seiner Heimat ran und siehe da, es flutschte wieder. Lauf- und spielfreudig und den Abschluss suchend. So, wie man ihn zwei Mal als Kölner gesehen hatte. Die Kritik ist erstmal verstummt. Also fast überall. […]

  3. Herr Wieland Herr Wieland

    Wie er auch schon gegen England nicht ganz unschuldig war

    Manuel Neuer war vor allem schuldig, dass Englands Ausgleich nicht gegeben wurde. Er hat gesehen, dass der Ball hinter der Linie war. Hätte er gezögert, gezweifelt, hätte der Schiedsrichter überlegen können .. dadurch, dass er sich der Situation bewusst war und sofort das Spiel eröffnete, entschied der die Situation nachhaltig. Pfui, wie unfair.

  4. Poldis Stärke, gegen schwächere Mannschaften zu treffen, wird auch bei uns beleuchtet: http://www.stadion-wurst.com/2010/09/lauf-poldi-lauf/

    Mir stößt nur in der Tat sauer auf, dass seine gute Trefferquote gegen schlechte Abwehrreihen zu einer Schwäche verkehrt werden soll. Daher bin ich froh, dass endlich mal jemand ins gleiche Horn stößt!

    Erinnert sich eigentlich noch jemand daran, dass man Klose bis zum Treffer im WM-Viertelfinale gegen Argentinien 2006 den gleichen Unsinn vorwarf? Spricht heute kein Mensch mehr von…

    Gleichzeitig scheint Jedermann zu vergessen, dass Schweden (WM-Achtelfinale 2006) und England (WM-Achtelfinale 2010) kaum als Fußballzwerge bezeichnet werden können. Spiele, in denen „Dä Prinz“ nicht abtauchte, sondern entschied, nämlich das Spiel. Spricht heute auch kein Mensch mehr von…

  5. Martin Martin

    Was für ein Problem hast du?
    Gegen Serbien steht der Stürmer gänzlich verlassen vor Neuer! Was soll er da machen? Genau so gegen England, wo drei Spieler alleine vor Neuer stehen! Er kommt raus, sieht dumm aus, aber da gibt es eine Reihe von Fehlern, die vorher passieren! Übrigens, bleibt Neuer auf der Linie stehen, sagt keiner was und er ist unhaltbar!

    Gegen Aserbaidschan ist es natürlich seine Schuld und er sieht unglücklich aus. Aber selbst einem Olli Kahn und einem Jens Lehmann, sogar einem Sepp maier sind Fehler unterlaufen! Und sag mir mal auf welchem Stand die drei mit 24 Jahren waren?!?!

    Gott, ganz schön peinlich, was du von mir gibst!

  6. Hattrick Hattrick

    @Martin Ich habe gar kein Problem. Ich halte Neuer für einen sehr starken jungen Torwart. Was mich allerdings irritiert, ist die mediale Sichtweise auf sein Torwartspiel. Da sollten einem ja Experten Zusammenhänge und Sachverhalte schildern können. Genau diese Expertise vermisse ich. Stattdessen wird immer nur schwarz und weiß gemalt.

    Nehmen wir beispielsweise den Treffer der Aserbeidschaner. Da stehen bei der Ecke zwei Blaue näher zum Tor als die beiden weißen Verteidiger. Wieso stehen die Verteidiger nicht beim Gegner? Wer ist für die Zuteilung verantwortlich? Würde mich interessieren? Sollte man mal bei den Spielern nachfragen. Macht aber keiner. Wenn Neuer eine Schuld haben könnte, an dem Gegentreffer, dann die, das er die beiden Verteidiger-Kollegen nicht angebrüllt hat, dass sie gefälligst ihre Leute zu decken haben.

    Nochmal: Während der WM wirkte Neuers Spiel auf mich sehr sicherheitsbetont. Sorry, aber beim Gegentreffer der Serben geht er halbherzig zum Ball. So wirkt es auf mich. Dass der Kerl vor ihm niemals alleine stehen darf, weiß ich auch. Wenn du dir den Treffer der Engländer öfter anschaust, dann siehst du übrigens genau, dass Neuer sich nur einen Halbschritt zur Flanke bewegt. Erst als sie angekommen ist, springt er Richtung Ball – natürlich zu spät. Komisch, ich kenne Neuer bei diesen hohen Bällen sonst eher extrem souverän. Der Reflex beim nicht gegebenen Gegentreffer der Engländer dagegen war großartig. Wie aber ist sein Stellungsspiel beim Lattentreffer Lampards zu bewerten? Die „Experten“ sprachen ihn frei. Vielleicht aber auch deshalb, weil der Ball nicht reinging.

    Ich würde mir jedenfalls sehr wünschen, dass das Torwartspiel in Medien/Blogs besser erklärt und analysiert wird. Von Leuten, die mehr Ahnung haben als ich. Sollte nicht schwer sein. Mich interessiert das. Ich sehe solche Gedanken auch nicht als Meckern oder Niedermachen von Neuer, auf dessen Entwicklung ich mich sehr freue. Aber er wird sich natürlich nur entwickeln, wenn er an seinen Fehlern arbeitet, gell?

  7. @Hattrick: Das ist eine gute Anregung, ich wäre neben Dir der zweite begeisterte Leser der Torwartanalysen. Ich selbst habe nämlich auch keine Ahnung davon und kann nur immer aus dem Bauch heraus entscheiden, ob der Torhüter ’ne totale Flachpfeife ist oder absolut schuldlos am Gegentreffer.

    Die Bewertungen der Kommentatoren helfen da übrigens so gut wie nie weiter. Das läuft nämlich immer nach demselben Schema: Berührt der Torhüter den Ball noch, bevor dieser trotzdem im Netz einschlägt, dann trifft den Torwart immer eine Mitschuld. Den Fall, dass der Ball so platziert und hart geschossen war, dass es an ein Wunder grenzt, dass der Torhüter ÜBERHAUPT noch seine Finger ans Spielgerät gebracht hat, scheint es gar nicht zu geben.
    Umgekehrt genauso (und das klang bei Martin ja schon an): Bewegt sich ein Torwart nicht oder nur halbherzig und hat so keine Chance an den Ball zu kommen, dann wird nicht etwa seine Reaktionsfähigkeit oder sein mangelhafter Bewegungsablauf in Frage gestellt, sondern dann war er eben einfach machtlos.

    Aber selbst Oliver Kahn, von dem ich mir als Ex-Titan an der Seite von KMH einige aufschlussreiche Kommentare zum Torwartspiel erhofft hatte, bewertet seine Kollegen immer nur nach denselben undurchsichtigen Kriterien. Ist das denn so schwer, von außen zu beurteilen, wie sich der Torwart in seinem Kasten schlägt?

  8. […] Gestern durfte er wieder in seiner Heimat ran und siehe da, es flutschte wieder. Lauf- und spielfreudig und den Abschluss suchend. So, wie man ihn zwei Mal als Kölner gesehen hatte. Die Kritik ist erstmal verstummt. Also fast überall. […]

  9. […] Gestern durfte er wieder in seiner Heimat ran und siehe da, es flutschte wieder. Lauf- und spielfreudig und den Abschluss suchend. So, wie man ihn zwei Mal als Kölner gesehen hatte. Die Kritik ist erstmal verstummt. Also fast überall. […]

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